29 April 2020

Vergeblich?

Geschreven door c2lounge

Immer deutlicher wird, dass durch die Krise in unsere Welt, durch das Virus bewirkt, auch viele persönliche Krisen verursacht sind. Nicht nur durch Krankheit und Tod, und die Trauer darüber; nicht nur durch alle Beschränkungen, und der Verlust eines Teils unserer Freiheit; nicht nur weil wir liebe, teuere Menschen nicht sehen können, und dadurch auch mehr als sonst auf uns selber gerichtet sind. Es gibt für viele Menschen auch grosse Enttäuschungen, weil so etwas wie ihre Lebenserfüllung, – was sie in ihrem Leben aufgebaut haben, und meistens gerne tun, – unmöglich geworden ist, und vielleicht für immer abgebrochen. Ich denke an Menschen, deren Betrieb plötzlich, unerwartet, beendet werden musste, was für immer ein Drama bleiben wird. Ich denke auch an Menschen, die langjährig geübt, geprobt, sich Mühe gegeben haben um eine grosse Kunst zu bemeistern, und jetzt keine Beschäftigung mehr haben: an Sportler, an Schauspieler, an Musiker. Sie müssen einfach abwarten, ob es ein Neubeginn geben kann, für ihre Leidenschaft, für ihre Arbeit. Und fürchten manchmal in Stille das alles vergeblich gemacht zu haben, all diese Mühe, all diese Zeit, all diese Hoffnung auf ein sinnvolles leben. Wie gehen sie, wie gehen wir damit um, wenn wir konfrontiert werden mit einer Vergeblichkeit, die uns auch an die Gurgel springen kann?

Vielleicht ist es wichtig um uns, in eine solche Situation, an das Unterschied zu erinnern, das der Schriftsteller Robert Musil je gemacht hat: das Unterschied zwischen Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn. Wenn es der eine gibt, muss es auch der andere geben. Er plädiert dafür um nicht nur so genau wie möglich zu sehen, was sich in die Wirklichkeit vor uns abspielt, aber auch die Möglichkeiten zu sehen, die es vielleicht noch verborgen gibt. Vieles kann noch anders werden, anders als wir es in unsere Gewohnheiten, vielleicht auch in unseren Gefühle von Enttäuschung und Vergeblichkeit erwarten. Musil umschreibt dieses Mögliche als “die noch nicht erwachten Absichten Gottes”. Ich finde das eine wunderbare Umschreibung dessen, was wir vielleicht unbewusst, tief in unserem Inneres, dennoch hoffen: dass es etwas gibt, dass unsere eigene Absichten weit übersteigt, vielleicht auch durchkreuzt, was wir aber auch als von Gott her denken können. Was uns auf eine neue Weise inspiriert, vielleicht eben rettet in unserem Leben. Was uns anspornt um darüber nachzudenken, was eine neue Möglichkeit in unserem Leben sein kann. Um darüber mit einander zu reden. Um zu suchen nach dem, was in unserem Leben sich vereinigen kann mit den vielleicht noch unbekannten Absichten Gottes.

So etwas muss den Jüngern passiert sein, als sie nach Ostern, nach eine für sie noch unverstandene Auferstehung, ihren alte Beruf von Fischer wieder aufgenommen hatten. Sie versuchten sich zu retten in eine alte Gewohnheit, in ihre Routine eines täglichen Lebens, die uns vor grossen Fragen manchmal abschirmt. Sie erfahren aber auch, wie vergeblich das alte Leben sein kann, nachdem sie schon die Möglichkeiten eines neuen Lebens erfahren haben. Aber dann werden sie von einem unbekannten Mann am Ufer auf eine neue Möglichkeit gewiesen um sich auf so etwas wie die noch nicht erwachten Absichten Gottes zu richten. Um auf eine unerwartete Weise fruchtbar zu sein in ihrem, nein, in unserem Leben.

Severien Bouman

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