Gottesdienst Ewigkeitssonntag 2019

Bibellesungen:
Psalm 126: 4 – 6.
Mattheus 5: 1 – 12.

Gebet:

Lieber Gott,
wir kommen zu dir, mit unserem Gebet,
weil wir wissen, es manchmal in unserem Leben zu brauchen
um wirklich getröstet zu werden,
von Menschen und von dir;
um so etwas wie eine Wendung unseres Geschicks zu erfahren,
dass irgend etwas sich ändert, in unserem Gemüt,
in unserem Leben, wenn wir beschädigt sind,
in unserem Körper, in unserer Seele;
wenn wir verloren haben wer kostbar für uns war,
wenn wir vielleicht die Hoffnung auch verloren haben
noch je in unserem Leben einfach glücklich sein zu können,
unbesorgt um was das Leben schenkt.
Wir kommen zu dir, weil wir es manchmal brauchen
um anderen zu trösten, in ihrem Leben,
weil sie es brauchen dass es jemand gibt
womit sie ihren Kummer teilen können;
wir wissen manchmal nicht was wir dann sagen können,
was wir dann tun können, für sie,
damit íhr Leben eine Wendung nehmen kann,
damit wir einfach so zusammen sind,
dass wir auch glauben können dass du anwesend bist,
um uns in unserem Leben so zu stärken
dass wir aufs neue wissen dass es gut ist,
wenn wir alleine sind,
wenn wir zusammen sind mit Menschen,
wenn wir Vertrauen haben in das Leben
mit all’ den Menschen die es gibt,
mit all’ den Menschen die wir lieben.
Sei bei uns, Gott, in unserem Leben,
gib, dass wir deine Menschen sind.
Amen.

Predigt:

Um heute mit etwas persönliches anzufangen: seit mehr als fünfzig Jahre habe ich mich öfter beschäftigt mit der Frage was es heisst um, bei einem grossen Verlust in unserem Leben, zu trösten; und um getröstet zu werden. Damals starb mein jüngere Bruder, unerwartet, im Alter von neunzehn Jahre. Er war der einzige der Geschwister, der noch zu Hause wohnte, meine Schwester und ich waren schon weg, und von da an lebte meine Mutter alleine im grossen Haus. Sie hat den Verlust ihres jüngsten Kind eigentlich nicht überstanden, wie lange sie auch danach noch gelebt hat. Vielleicht auch hat sie ihren Glauben für immer verloren, aber so ausdrücklich hat sie das nie gesagt, vielleicht auch weil sie immer ein wichtiger Rest davon für sich selber bewahren wollte. Vielleicht auch weil sie ihren anderen Sohn, der damals Theologie studierte, nicht mit ihre grosse Frage belasten wollte. Sie konnte (und wollte) auch nicht über diesen Verlust mit anderen sprechen, dann weinte sie einfach, und war wirklich untröstlich. Von da an habe ich mit oft die Frage gestellt: können wir einander wirklich trösten? Und was heisst das dann?
Es ist vielleicht leichter um zu sagen was es nicht ist. Trösten ist nicht, dass wir ändern können was passiert ist. Wir können nicht ersetzen was anderen verloren haben; wir können uns selber nicht auf der Stelle setzen von dem der gestorben ist; wir können nicht gut machen was an schlimmes passiert ist, selbst dann nicht wenn wir das wollten. Was können wir dann? Was können wir dann, wenn wir nicht von uns selber akzeptieren können, dass wir vollkommen machtlos sind: das sind wir nicht. Obwohl wir uns manchmal ziemlich machtlos fühlen. Aber was können wir dann wirklich tun?
Schon vor lange Zeit habe ich ein Gedicht gelesen des Holländischen Dichter Judith Herzberg, worin die Zeile vorkommt (in Prosa übersetzt): “ Trost für Obdachlosen kommt nie im Gestalt von Häusern, sondern aus dem Mund von Herumstreifenden.”
Ich habe diese Zeile verstanden als den Aufruf um Trost zu spenden, als einer der einfach versucht neben einem anderen zu gehen, zu sitzen, und versucht zu verstehen, was der andere wirklich erlebt, was ihm passiert ist, was das für ihn bedeutet, im tiefsten Inneres. Natürlich müssen wir auch Häuser spenden, damit Obdachlosen wohnen, und leben können; beschützt sind gegen Kälte und Regen. Aber wir müssen auch verstehen dass es soviel mehr Obdachlosen gibt als wir sehen können: all die Menschen die das Kostbarste ihres Lebens verloren haben; geliebte Menschen, die unersetzbar sind; Verluste die uns wissen tun, dass wir die vertraute Wohnungen unserer Seele für immer verloren haben, und suchen müssen wo wir eine neue finden können. Dann hilft es wenn jemand sich neben uns stellt, den wir vertrauen können; der einen Arm um uns hinlegt, uns reden (oder schweigen) lässt, und versteht was wir nicht sagen können. Der mit uns herumstreift durch das manchmal schwierige Leben, und versucht uns Dinge zu zeigen, die vielleicht wichtig für uns sein können: Anhaltspunkte für ein neues Leben (um noch nicht über Zukunft zu sprechen).
Viel von dem was ich eben gesagt habe, kam mir in Gedanken als ich, vor kurzem, in einer Kirche, “Ein Deutsches Requiem” von Johannes Brahms hörte. Fürs erste Mal in meinem Leben eine wirkliche Aufführung, obwohl die Musik mir schon lange Zeit vertraut war. Wenn man so die Musik hört, in aller Ruhe und Aufmerksamkeit, den Texten mitlesen kann, und sich davon ansprechen lässt, den eigenen Gedanken Raum gibt um sich bewusst zu werden was das alles für sich selbst bedeutet, – dann wird eine solche Aufführung ein beeindruckendes Geschehen, das auch danach zum weiteren Nachdenken einlädt. Vor allem wenn man dann auch noch liest, dass dieses Requiem von Brahms irgendwo ein “Hohelied des Trostes” genannt wird. Warum kann man so etwas sagen? Was ist dann eigentlich der Trost, der hier gespendet wird?
“Ein Deutsches Requiem”, – weit weg von allen Nationalismen heisst es einfach, dass es hier nicht um eine Lateinische Messe für den Gestorbenen geht, sondern, in Deutscher Sprache (in seiner eigene Sprache), eine Sammlung von Biblischen Texten, die versuchen Trost zu bieten an den Lebenden. Und nicht zwingend, um so zu sagen, nicht auf eine dogmatische Weise, von einem der es weiss, oder der sich an den überlieferten kirchlichen Formen hält, aber von einem gesammelt, der selber versucht seine Trauer eine für ihn passende Stelle zu geben. In diesem Requiem hat Brahms erst seine Trauer verarbeitet über den Tod seines älteren Freundes Robert Schumann, um sein Gedächtnis in eine eigene Form darzustellen. Dann ist das noch unfertige Stück lange Zeit liegengeblieben, bis dann seine von Brahms sehr geliebte Mutter gestorben ist. Das hat ihn inspiriert zu dem wunderschönen Teil, “Ihr habt nun Traurigkeit”, worin die Worte aus Jesaja stehen: “Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet’. Das ist, bei dieser Gelegenheit, ein wunderbarer Satz: weil hier, was wir selber an Trost erfahren haben, den früheste Trost den wir vielleicht gekannt haben, von den Müttern, hier so etwas wird wie der Trost den wir an anderen am besten geben können. Vielleicht ist es überhaupt so, dass das beste das wir anderen geben können, seine Ursprung findet in dem was wir selber an gutes erfahren haben. Was wir nicht vergessen haben, und nicht vergessen müssen. Was wir weitergeben können, weil es auf ein wichtiges Moment an uns gegeben wurde, soviel gutes das bei uns bleibt.
Das alles bedeutet auch, dass Brahms eigentlich lange Zeit gebraucht hat, um den Trost, der er selber brauchte, den er selber suchte in seinem Bibel, den er sein Leben lang (von früh an) fast täglich las, – um diesen Trost an anderen weiterzuleiten. Um die Fruchtbarkeit von bestimmten Texten sprechen zu lassen, in Worten die nicht nur zu anderen gesagt wurden, sondern eben gesungen, in Musik vertont. Damit vielen getröstet werden können, von einem der durch vergleichbaren Erfahrungen hindurch gegangen ist. Trösten ist dann auch meistens nicht etwas das wir schnell bewirken können, und wir werden auch selber nicht schnell getröstet: es dauert manchmal eine lange Zeit, manchmal Jahre, bevor wir die richtige Worte zulassen können; Worte die Menschen sagen, Worte aus der Bibel auch; bevor wir auch selber die richtige Worte sagen können. Vielleicht ist es manchmal wichtiger um das richtige Moment abzuwarten, um in der Zwischenzeit einfach beieinander zu sein, in Liebe und Aufmerksamkeit, als Herumstreifenden im Leben.
Trost war für Brahms so etwas wie das Vertrauen, oder die Sicherheit, getröstet zu werden. Auch wenn dieser Trost im Moment selbst, jetzt, nicht erfahren wird, – er weiss dass dieser kommt. In Vertrauen auf Menschen, und in Vertrauen auf Gott. Um dieses Vertrauen kennbar zu machen, in Worten und in der Musik, hat er am Anfang und am Ende seines Requiems zwei Seligpreisungen gewählt. Die erste aus den Seligpreisungen, am Anfang der Bergpredigt Jesu, wo steht:
“ Selig sind, die da Leid tragen,
denn sie sollen getröstet werden.”
Und die zweite, ganz am Ende des Requiems, aus dem Buch Offenbarung:
“Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben, von nun an.
Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit,
denn ihre Werke folgen ihnen nach.”

Hier werden also beide seliggesprochen, die Toten die endlich Ruhe bekommen, und wissen mögen dass das, was sie gewesen sind, in Liebe bedacht wird. Und die Lebenden, diejenigen die Leid tragen, die getröstet werden, auch sie werden genau darin, in diesem Trost, selig gesprochen.
Das Wort ‘selig’, ‘makarios’ auf Griechisch, – wir müssen nie vergessen, dass mit diesem Wort anderen zugesprochen werden. Wie unwahrscheinlich dieses Wort auch scheint, in den Umständen worin es gesprochen wird, in Armut und Leid, bei Tod und Trauer, hier werden Menschen zugesprochen. Sie werden also nicht alleine gelassen! Es wird gesprochen von einem der sich um sie bekümmert, der sie ansieht, und versucht zu verstehen, zu ergründen, was die Tiefe ihres Kummers ist.
Das zweite das man sagen kann von diesem vielbedeutenden Wort, selig, dass hier ein Anfang gemacht wird auf einem Weg, wovon alle wissen, dass dieser lang sein kann. Aber es wird einen Anfang gemacht. Mit diesem Wort ‘selig’ sind sie (um sozusagen) auf dem guten Weg. In der Bereitschaft um das Leid gemeinsam zu tragen. In der Bereitschaft um gemeinsam sich Hoffnung zu machen, und sich dafür Mühe zu geben. In der Bereitschaft um gemeinsam Gerechtigkeit zu üben.
Um damit einen Anfang zu machen. Nicht wissend wie der Trost letztendlich sein wird, aber das brauchen wir auch nicht zu wissen. Es reicht um den Mut aufzubringen um einen Anfang zu machen. Weil ein ander dieser braucht. Weil wir es brauchen um nicht alleine zu sein. Um zu wissen dass es Menschen gibt, um zu glauben dass es Gott gibt, der uns, unterwegs, mit dem Vertrauen stärkt dass wir auf einem guten Weg sind. Um zu wissen dass es eine Liebe gibt, die uns letztendlich das Vertrauen gibt, dass wir selig sind. Getröstet, von Menschen und von Gott.
Amen.

Gebet:

Lieber Gott,
wir bitten dich für diejenigen
die eine geliebte Person durch den Tod verloren haben,
vor kurzem oder vor lange her,
die noch immer nicht verstehen können
was damals passiert ist,
die noch immer nicht vergessen können
was sie täglich vermissen,
die noch immer nicht getröstet werden können
für was sie verloren haben;
sei du bei ihnen, Gott, als einer
der uns auf den Weg des Trostes begleitet,
damit wir wirklich zusammensein können
als Menschen die wissen, dass du uns allen liebst.
Wir bitten dich für diejenigen
die geliebte Menschen durch das Leben verloren haben,
die aus einander gewachsen sind, entfremdet voneinander,
durch andere Interessen, durch Unachtsamkeit,
weil Menschen manchmal zu viel im Leben geniessen mögen;
sei du bei ihnen, Gott, als einer
der uns allen bewusst macht von dem
was wirklich wichtig ist im Leben,
was wir unbedingt tun müssen.
Gib uns allen immer wieder die Hoffnung
dass wir, wann denn auch, einen neuen Anfang machen können
in unserem Leben, in unsere teuere Verhältnisse zu einander,
im Leben mit denjenigen, die unsere Familien sind,
die unsere Gesellschaft ausmachen,
die unsere Gemeinde sind.
Sei bei uns, damit wir unsere beste Kräfte geben,
was wir, als Mensch von dir, im Leben sein können.
Amen