Gottesdienst 30 September 2018

Bibellesungen:

Weisheit 9: 13 – 19.

Johannes 3: 1 – 13 (Übersetzung von Klaus Berger & Christiane Nord).

 

Gebet:

 

Lieber Gott,

auch wir kommen zu dir, weil wir es manchmal im Leben brauchen,

um, für ein Moment, stille zu stehen bei dem, was in unserem Leben passiert,

um darüber nachzudenken,

um es vorzulegen an dir,

in der Hoffnung dass du uns hörst,

dass bei dir eine Stelle findet worüber unser Herz kümmert,

dass du uns deine Weisung sendest,

damit unser Leben fruchtbar wird,

von deiner Weisheit umgeben.

Auch wir brauchen es immer wieder

um so etwas wie ein Halt für das Leben zu finden,

für das unsrige auch, wo so viel unsicher ist;

um so etwas wie ein Plan für die Welt zu finden,

woran du beteiligt bist, mit deiner Weisheit,

die uns Menschen glücklich macht, in Frieden leben lässt.

Auch wir wissen von der Zerbrechlichkeit des Lebens,

von der Unsicherheit soviel Pläne,

die wir dennoch hoffen zu verwirklichen;

dass uns Zeit gegeben wird, und Kraft,

um das Leben vollauf zu geniessen.

Wir bitten dich, Gott,

dass du uns teilen lässt in deiner Weisheit,

dass du uns damit erfüllst, aus deiner Höhe

uns hier erreichst, auf unsere Erde,

damit wir das Leben vollauf leben

das du uns allen geschenkt hast,

damit wir einander wirklich begegnen können,

und in Aufrichtigkeit mit einander sprechen.

Sei bei uns, Gott, mit deiner Heiligen Geist,

damit wir wissen von dir geliebt zu sein

als deine Menschen.

Amen.

 

 

 

 

Predigt:

 

 

Vor ungefähr hundert Jahre hat der grosse Russische Dichter Osip Mandelstam,  als er noch jung war, und am Anfang stand seiner dichterischen Tätigkeit, seinen ersten Essay geschrieben mit dem Titel “Über den Gesprächspartner”. Es geht ihm darin um die Frage, für wen ein Dichter schreibt: für seine Freunde, seine Zeitgenossen, oder für (was er nennt) einen ‘Gesprächspartner’. Dieser braucht kein Zeitgenosse zu sein, auch ein sehr viel später lebende Leser kann im Gespräch sein mit einem Dichter, der schon lange nicht mehr lebt. Es ist vielleicht ein ungewöhnlicher Begriff von Gesprächspartner, den Mandelstam hier benutzt, aber möglicherweise fruchtbar für unser Verständnis von frühere Texten, Aussagen und Autoren, die uns noch immer inspirieren können; uns zeigen wie wir leben können. Wie wir natürlich auch mit jetzt lebenden Menschen auf eine fruchtbare Weise ‘in Gespräch’ sein können.

In diesem Essay benutzt Mandelstam ein schönes Bild des Dichters Puschkins; in einem Lied von einem Vogel, der, bevor er anfängt zu singen, “Gottes Stimme vernimmt”, wie Puschkin schreibt. “Und der, der dem Vogel zu singen befiehlt, hört ihm offenbar zu.” So zitiert Mandelstam seinen Puschkin. Ausdrücklich sagt Mandelstam, dass es keinen Grund gibt mit dem Vogel nur den Dichter zu meinen. Wir können annehmen dass dieses Bild allgemeiner gemeint ist: das es im Idealfall ein Bild von einem Gesprächspartner gibt. Von Menschen die mit einander im Gespräch sind, ob sie nun in der Zeit von einander getrennt sind, oder nicht. Von einem der singt, so wie er das am schönsten (oder besten) tun kann, so wie er (um so zu sagen) seine Stimme von Gott empfangen hat; und ein anderer der dieses Lied hört, die Stimme hört, die Schönheit davon und vielleicht auch den Schmerz, die Traurigkeit, die auch eine von Gott geschaffene Stimme ausschreien kann. Und durch das alles hindurch auch hören kann wer der andere ist, der hier singt.

Gesprächspartner sein heisst dann so viel wie sich aussingen, sich aussprechen, so wie man in aller Echtheit, und in aller Lebendigkeit, ist, und ein anderer der dies alles zuhört, und darauf reagieren kann. In einer Echtheit, in einer Lebendigkeit, die hoffentlich recht tut an allem was gesagt (und gemeint) ist.

Vielleicht ist es gut schon jetzt zu sagen, dass wir vielleicht nicht viele wirkliche Gesprächspartner in unserem Leben haben. Obwohl wir natürlich viel mit andere Menschen reden. Wir brauchen vielleicht auch nicht viele Gesprächspartner, mit einer Intensität, mit einer Lebendigkeit und Reinheit, die wir vielleicht nur selten aufbringen. Wissend aber auch, wie sehr wir es brauchen verstanden zu werden, in unseren tiefsten Anliegen, in dem wer wir wirklich sind. Wenn wir (um so zu sagen) “Gottes Stimme” in uns selber hören, und an anderen vernehmen lassen können. Auch dann, wenn wir manchmal zögern solche grosse und heilige Worte für uns selber zu benutzen.

Können wir etwas von diesem intensiven Inhalts des Begriffs “Gesprächspartner” wiederkennen im Gespräch das Jesus mit Nikodemus führt? Und können wir das dann auch ein bisschen benutzen für unser eigenes Leben? Für die Glaubensgespräche auch die wir führen?

Das erste das dann genannt werden muss, ist eine gewisse Neugierde, nach dem wer der andere wirklich ist. Diese Neugierde ist nicht ohne weiteres gleichzusetzen mit dem was wir oft von den Menschen wissen wollen. Es geht hier nicht um Kleinigkeiten, nicht um pikante Einzelheiten, sondern um die wesentliche Fragen des Lebens. Wollen wir diese wirklich mit anderen teilen? Wollen wir wirklich wissen wer der andere ist, in seinem (oder ihrem) Wesen? In seinem oder ihrem Glauben?

Nikodemus auf jedem Fall will wirklich wissen wer Jesus ist. Und das ist in seinem Fall nicht selbstverständlich. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen beide: er war Mitglied des Hohen Rats (des Sanhedrin), Schriftgelehrter, und er muss viel älter als Jesus gewesen sein (er beruft sich darauf). Aber dennoch gibt es eine gewisse Offenheit bei ihn, eine vielleicht mit anderen geteilte Neugierde wer der Mann ist, der schon einiges Aufsehen erregt hatte, und eine Unruhe verursacht hatte, die man sich vielleicht nicht leisten konnte. Nikodemus muss auch ein Mann von viel Gewicht gewesen sein, mit einem grossen Einfluss: wo er kam, war Jemand da, und wo er sprach, wurde auch gehört. Auch später berichtet Johannes in seinem Evangelium davon: wo er für Jesus plädiert im Hohen Rat, dass er mindestens ein ehrliches Prozess bekommt; und wo er persönlich an der Bestattung Jesu teilnehmt, mit “eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund”, wie dann gesagt wird. Es ist als ob er auch später in Gespräch mit Jesus geblieben ist, auch wenn sie einander nicht mehr gesehen haben. Solche Gespräche gibt es wirklich, die es vielleicht nur einmal gegeben hat, aber so tief einschneiden in unserem Leben, so aufschlussreich sind, dass wir uns das für immer erinnern. Auch das kann ein Form von Gesprächspartner sein, wenn wir innerlich das je geführte Gespräch selber weiterführen; vielleicht braucht es nicht immer faktisch weiter zu gehen.

Im Gespräch das Johannes uns überliefert hat, öffnet Nikodemus das Gespräch mit so etwas wie einem Glaubenssatz, der für unser Gefühl schon sehr viel aussagt: “Rabbi, wir wissen, daß du ein Lehrer bist, der von Gott kommt.” Vielleicht wäre damit für uns schon das Gespräch zu Ende gekommen, als ob ein Schluss gezogen werden konnte aus unseren vielen Erwägungen. Es könnte schon eine Art Glaubensbekenntnis sein wenn die Frage gestellt wird wer denn Jesus ist:”ein Lehrer der von Gott kommt”. Aber hiermit fängt das Gespräch erst an. Vielleicht auch war es eine diplomatische Öffnung des Gesprächs: um mit einer Höflichkeit anzufangen, um damit den andern günstig zu stimmen, ohne etwas von sich selber preiszugeben. Um den Abstand zu bewahren. Aber was bei vielen Menschen ohne Zweifel gelungen sein würde, und vielleicht ein Gefühl von Selbstzufriedenheit bewirkt hätte, – es ist natürlich schön um “von Gott zu kommen”, wer würde das nicht gerne sein? was das auch bedeuten konnte, – Jesus aber greift diesen Ausspruch an um das Gespräch wirklich in die Tiefe zu führen. Und ‘Tiefe’ bekommt hier fast einen neuen Sinn.

Die erste Reaktion Jesu bestimmt das weitere Gespräch grundlegend, und ist auch deshalb festgehalten in der Überlieferung. Weil hier Dinge gesagt werden über den Glauben, über das Leben, über das gemeinsame Leben von Menschen auch, die wir vielleicht nie vergessen mögen. Was Jesus genau sagt, ist auf den ersten Blick, bei ersten Hören, vielleicht ein bisschen rätselhaft, und das Rätselhafte wird auch noch vom Evangelisten Johannes (der es uns überliefert hat) verstärkt, weil er es liebt um mit Worten zu spielen. Und auch die verschiedene Übersetzer dieses Textes haben immer gezögert um diese wichtige Stelle eindeutig zu übersetzen. Für heute haben wir die Übersetzung gewählt, für die Antwort die Jesus Nikodemus gibt: “Amen, ich sage dir: nur einer, der von oben her geboren wird, kann Gottes Reich sehen.”

Diese Übersetzung ist offenbar neu. Fast immer wurde hier so etwas übersetzt wie: “Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen”. Auch Nikodemus versteht den Ausspruch Jesu in diesem Sinne, ganz buchstäblich, wenn er fragt wie das möglich ist. “Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden?” Und mit diesem Verständnis, oder Missverständnis, geht das Gespräch dann weiter. Der Grund dafür ist, dass das Griechische Wort das hier benutzt wird, ‘anothen’, beide Bedeutungen enthält: sowohl ‘aufs neue’ wie ‘von oben her’. Wie gesagt, Johannes liebt es um mit Worten zu spielen, mit Worten die verschiedene Bedeutungen zulassen. Er liebt es um Gespräche aufzubauen, die durch Missverständnisse entstanden, oder damit belastet sind; um, wie ein guter Lehrer, noch besser erläutern zu können warum es ihm geht. Und warum es ihm hier geht, das wird vielleicht am Besten durch die neue Übersetzung angedeutet: ‘von oben her’: um von oben her geboren zu sein. Was könnte das bedeuten?

Um es ganz kurz und mit einer gewissen Vorläufigkeit zu sagen: ‘von oben her geboren sein’ heisst so viel wie Wissen von einem Glauben in Gott, das nicht aus uns selbst kommt, sondern wovon wir wissen dass es uns irgendwie gegeben ist. Von draussen, von oben, welche Bilder man auch dafür benutzt. Es wird uns im Leben gereicht, manchmal plötzlich, unerwartet, manchmal wachsend in der Zeit, und uns in beladenen Momenten unseres Lebens bewusst geworden. Dieser Glaube ist nie selbstverständlich, nie ganz sicher, es bleibt aber bei uns als ein Bewusstsein dessen dass es eine Dimension des Lebens gibt, die auf eine rätselhafte Weise kostbar für uns bleibt. Als ein Wissen vom Geheimnis des Lebens, unseres eigenen Lebens, und das Leben an und für sich, das von soviel Rätseln und Unsicherheiten umgeben ist, und dennoch freudenvoll und fruchtbar. Auch wenn es verletzlich ist, und von Angsten und Gefahren bedroht wird. Dennoch bleibt so etwas wie ein Wissen ‘von oben’ als eine Begleiterscheinung unseres Lebens da, durch alle Fragen und Freuden des Lebens hindurch.

Mit diesem ‘von oben her geboren sein’ fängt das Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus dann wirklich an. Und es bleibt auch darüber gehen, mit allen Umwegen, Abschweifungen und Abkürzungen, die es auch in unseren Gespräche manchmal gibt. Verschiedene Bilder werden benutzt um dieses ‘von oben’ weiter anzudeuten, wovon das wichtigste vielleicht das Bild des Windes ist. Als Andeutung des Heiligen Geistes, als die von Gott gegebene Hilfe, um das Leben und die Menschen zu verstehen. Von diesem Wind wird gesagt, dass wir nicht wissen woher er kommt, und wohin er geht, der weht wo er will, aber dennoch können wir ihn hören. “Hören’ heißt hier: als Hilfe verstehen; als das gereicht-werden einer gewissen Weisheit, die wir im Leben brauchen um wirklich Mensch zu sein. Um auf unsere Weise zur Verfügung zu stehen, bei den Menschen die uns brauchen; um die Lage unseres Lebens worin wir stehen, am besten zu verstehen, bis in die Tiefe; um das Gespräch weiterzuführen, mit den Menschen die uns je dazu eingeladen haben, oder die wir auf wichtige Momente unseres Lebens begegnet haben. Das Gespräch vielleicht auch mit Gott, als derjenige der uns immer dazu einlädt, um die beste Möglichkeiten des Lebens zu suchen. Für uns, gemeinsam mit anderen.

Das Gespräch mit Nikodemus, das mit den Bemerkung über das ‘von oben anfangt, dieses Gespräch endet mit einer wichtigen Bemerkung über das Verhältnis von Himmel und Erde. Genauer: über das Sprechen über Irdisches, und das Sprechen überHimmliches. Und es wird eine überraschende Priorität festgestellt: erst müssen wir das Irdische verstehen, bevor wir das Himmlische verstehen können.

Wir können sagen: im Glauben geht es nicht sosehr um die Frage wie wir uns den Himmel, oder Gott, vorstellen können, es geht an erster Stelle um die Frage wie wir uns die Erde vorstellen können. Aber auch, wie wir uns dabei von Gott inspirieren lassen können, von oben, vom Heiligen Geist, der uns Menschen mit einander verbindet, und uns Aussicht gibt auf eine heile Welt.

Amen.

 

Gebet:

 

Lieber Gott,

wir bitten dich, dass du uns immer wieder zeigst

wie wir Menschen am Besten mit einander in Gespräch sein können,

wie wir hören können was gesagt wird,

verstehen was im tiefsten der Worte liegt,

an Verlangen, an Verletzung, an Hoffnung;

dass du uns öffnest und bereit machst

die Tiefe zu hören, die Höhe zu erfahren

woraus ein Menschenleben besteht;

gib uns den Mut darauf einzugehen,

mit einander umzugehen als freie Menschen.

Wir bitten dich für die Menschen,

die in ihrem Leben so beschädigt sind,

dass sie sich nicht mehr an anderen anvertrauen können,

die sich jeder Liebe von anderen verweigern,

und nur Unmöglichkeiten sehen, in ihr Unglück.

Sei du bei ihnen, als einer der sie verstehen kann,

und helfen aus sich selbst zu treten.

Wir bitten dich für die Menschen,

die verantwortlich sind für das Gespräch von Menschen,

in ihrem Land, in ihrem Kreis,

die berufen sind um zu verstehen

was Menschen kümmert, was sie vom Leben hoffen,

was sie als Unrecht erfahren, oder als einfach notwendig

für das Leben von Menschen mit einander.

Sei du bei ihnen, sei du bei uns,

wenn wir versuchen das Leben so zu gestalten,

dass wir wissen was heilig ist, und was verpönt,

dass wir imstande sind ein bisschen Liebe zu verbreiten,

und erfahren woher diese kommt, wohin sie geht.

Sei bei uns, Gott, als deine Menschen, in unserer Welt.

“Onze Vader…”

Amen