Predigt 30 Januar
Bibellesungen:
Matth.6:5–15
Wo an zu fangen?
Heute ist es schon Ende Januar. Bereits übermorgen ist Februar, der Monat der Frühlingsferien! Wirklich alles ist lange hinter uns: Heiligabend, Weihnachten, Silvester. Können wir eigentlich noch etwas sagen über ein neuer Anfang? Oder ist dass ein bisschen erbärmlich? So etwas für die langweilige Minute in der Kirche? Ich denke Ja, es gibt doch gute Gründe es trotzdem zu tun.
Wir können lernen jeden Tag als einen neuen Anfang zu sehen; jeden Tag, wenn die Sonne am Horizont aufgeht und “auf die Guten und die Bösen scheint” (Matth.5:45).
Henri Nouwen, ein Meister zeitgenössischer Christlichen Spiritualität, sagte es so “ wir müssen lernen jeden Moment als einmalige Gelegenheit zu erfahren alles neu zu machen“( Mit einem weiten Herzen, S.88). Stellen wir uns vor, wie würden in 2022 beginnen jeden Monat neu anzufangen und jederzeit wieder eine Stimme zu hören, die uns sagt “ Siehe, ich mache alles neu“ (Offenbarung 21:5).
Die realistische Stimme
Ist es möglich, dass unsere Vorstellungskraft uns dazu führen kann? Ja, sie kann es! Das Problem allerdings ist, dass wir unserer Vergangenheit, die von Jahr zu Jahr länger wird, zu sagen erlauben „Da gibt nichts neues unter der Sonne“. Du kennst doch schon alles, du hast es längst erlebt, bleib doch realistisch. Keiner von uns konnte einen Unterschied machen, alles bleibt immer dasselbe. Oder, vielleicht gibt es ein kleines Unterschied: die superReichen wie Jeff Bezos und seine Davoser Freunde werden immer reicher. Dass ist so. Nun gut, lassen wir das ruhen. Hier genugt, dass die sogenannte realistische Stimme sagt: die Zukunft wird nicht viel anders sein als die Vergangenheit war. Versuch sie so gut du kannst zu meistern.
Die dichterische Stimme
Die dichterische oder biblische Stimme im Mattheus–Evangelium spricht jedoch ganz anders. Vielleicht ist es gut wenn ich an dieser Stelle noch einen konkreten Vorschlag mache. Gerne möchte ich jetzt den Amerikanisch–Brittischen Schriftsteller T.S.Eliot (1888–1965) hervorheben. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der literarischen Moderne wie James Joyce. Im Jahr
1948 wurde er mit den Literaturnobelpreis ausgezeichnet für sein Spätwerk die Vier Quartette, im Orignal Four Quartets.
Vier Quartette
In 1922 erschien Eliot’s ertes Hauptwerk, das Versepos The Waste Land; ins Deutsche übertragen heißt es Das wüste Land oder Das öde Land (Norbert Hummelt). Zwischen 1936–1942 schrieb er the Four Quartets. Es sind 4 dichterische Texte die völlig anders sein als seine früheren Arbeiten; nicht avant–gardistisch, sondern sogar anti–modern in seiner Grundhaltung. In dem Zyklus Four Quartets meditiert Eliot über seinen eigenen Lebensweg. Die Zeit spielt hier ein große Rolle. Er lehnte eine strenge Aufteilung der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ab. Er bevorzugte transcendetalere Vorstellungen von der Zeit: die Vergangenheit und die Zukunft sind für ihn immer auch in der Gegenwart enthalten. Zeit ist für Eliot nicht ohne einen Bezug zu Ewigkeit denkbar.Die programmatischen Eingangssätze klingen in der Übersetzung von Norbert Hummelt „Zeit Gegenwart und Zeit Vergangenheit/ Sind vielleicht beide in Zeit Zukunft
gegenwärtig/und Zeit Zukunft enthalten in Zeit Vergangenheit“. In den Vier Quartette klingen auch die berühmte Worte: “In meinem Anfang ist mein Ende/ In meinem Ende ist mein Anfang”.
Dichterisch kann es sein, dass wir am Ende dort ankommen, wo wir angefangen haben. Ich denke das gehört zu den mystischen Einsichten die die 4 Quartetts von Eliot kennzeichnen, dass “die Zeit das Zeitlose kreuzt”. Zum Schluss schreibt Eliot:
„Ich will nichts mehr hören/ von der Weisheit alter Männer
lieber von Ihre Tollheit/ Ihrer Angst vor der Angst/
und dem Irrsinn/ Ihrer Angst vor Besessenheit“
Diese Strophe mündet aus in eine Apotheose: die der Demut: „Demut ist endlos„.
Die betende Stimme
Gerne rezitiere ich noch einige Zeilen aus Eliot’s Vier Quartette, nämlich eine Strophe die vielleicht gleichzeitig die Frage beantwortet “warum wir heute überhaupt in der Kirche gekommen sind”.
Bitte, höre zu. Zuerst werde ich es rezitieren im Original und dann in der Übersetzung von Norbert Hummel.
„You are not here to verify
Instruct yourself
Or inform curiosity
Or carry report.
You are here to kneel
Where prayer has been valid.
And prayer is more
Than an order of words,
The conscious occupation
Of the praying mind,
Or the sound of the voice
Praying…“
In der Übersetzung Hummels:
„ Sie sind ja nicht zum Überprüfen hier; Nicht um sich Aufschluss zu verschaffen, Neugier zu stillen, Bericht zu erstatten. Sie sind hier, um niederzuknien
Wo schon Gebete erhört worden sind. Und Gebet ist mehr Als eine Wortanordnung, mehr als bloß die bewusste Versenkung Dessen, der betet, mehr als der Klang einer betenden Stimme”.
Aus dem Matthaeus–Evangelium hörten wir bereits dass beten nicht Auffälliges ist wie „Schau mich an“.
Die Demut Christi
Könnte Gebet etwas mit Demut zu tun haben?
Demut von der Eliot sagte: Demut ist endlos. Eine der frühesten Christlichen Gebetshymnen beschreibt die Demut Christi, der, obwohl er „in Gottesgestalt war, sich selbst entäusserte und Knechtsgestalt annahm“ ( Philipper 2:6). Gerade in der Frühzeit der Kirche bedeutete eine freiwillige Selbst–Entäusserung von Macht und Reichtum eine engagierte Stellungsnahme gegen die herrschende Kultur. Der Hymnus zeicht den Weg Christ in einem Kontrast zu den Werten die auch noch in unserer Zeit imponieren. In unserer zeitgenössischen Kultur sind Macht und materiellen Besitz neben natürlich Spaß die tonangebenden Werte. Der Weg der Demut wirft ein aufklärendes Licht auf der Weg der Distanz zu den Werten einer Welt die bessessen ist von
Erfolg und Ruhm. Laut Henri Nouwen, bereits hier zitiert, ist beten demutig sein.
Beten ist vor allem das Ausziehen aus der Wohnung derer, die Pracht und Prestige lieben, und das Einziehen in das Haus Gottes wo die Liebe wohnt. Das Gebet “ zieht uns weg von der Beschäftigung mit uns selbst und spornt uns dazu an, eine neue Welt zu betreten, die zu groß ist für die engen Grenzen
unseres Geistes oder Herzens. Das Gebet ist daher ein großes Abenteuer, denn der Gott, mit dem wir in eine neue Beziehung treten , ist größer als wir und entzieht sich all unseren Berechnungen und Vorhersagen“ (Oc. S.33).
Beten ist lieben
Das Gebet führt zu dem Gott, dessen Liebe keine Grenze kennt. Wahres Gebet umfasst die ganze Welt, nicht bloß den kleinen Teil, in dem wir leben.
Beten ist die Brücke zwischen meinem Leben und Gottes Liebe. Beten verbindet mich mit dir und beten verbindet mich mit allen Menschen in der Nähe der Liebe Gottes. Viele denken nicht an Gott oder ihre Miitmenschen.
“Die meisten haben etwas anderes im Kopf, nämlich sich selbst” (Lisa Westerveld, Niederländische Parlementarierin, VK 22.1.2022). Beten ist das genaue Gegenstück davon, nur an sich selbst zu denken. Beten heißt Raum für Gott und die Mitmenschen in deinem Leben zu schaffen.
Kurz und bündig, beten ist ein anderes Wort für lieben, nur weniger beliebt.
Amen