Gottesdienst. 30 August 2020

Bibellesungen:
Psalm 36: 6 – 10.

Markus 2: 1 – 12.

 

Gebet:
Lieber Gott,
wir kommen zu dir,
um deine Anwesenheit zu suchen,
ein Zeichen dass du da bist, auch für uns,
in unserem Leben, so wie wir das führen,
in unserem Leben, so wie wir das hoffen.

Wir versuchen das Leben zu leben,
mit dem was wir können, mit dem was wir sind,
was wir alleine sind, für uns selbst,
was wir zusammen mit anderen sind;
wir versuchen das beste zu tun,
mit dem was du uns gegeben hast,
was wir in unserem Leben entwickelt haben,
suchend nach dem was an dich beantwortet,
und gut für die Menschen ist, und für uns selbst.

Wir bitten dich
sei du anwesend bei uns,
in unsere Einsamkeit, in unsere Verbindungen mit Menschen,
gib dass wir etwas erfahren
von etwas ewig neues das aus dir hervorgeht,
wie aus deiner Quelle;
gib dass wir etwas erfahren
von etwas das uns erleuchtet, uns Klarheit gibt,
wie aus deinem Licht;
damit wir wissen wer wir sind, alleine und zusammen,
damit wir eine Gemeinschaft aufbauen können,
die etwas zeigt von dir,
was du von uns Menschen erwartest.

Sei bei uns allen, Gott,
damit wir deine Menschen sind
in unsere Welt.
Amen.

Predigt:
Über Freiheit und Solidarität geht es heute, in der Predigt. Man könnte fragen:

wie verhält sich eigentlich im Moment unser Freiheitsgefühl, das durchaus fast selbstverständliche Bewusstsein unsere eigene Entscheidungen nehmen zu können, zu der manchmal unvermeidliche Notwendigkeit Rücksicht auf andere Menschen nehmen zu müssen?

In dieser Zeit der Pandemie, und der damit gegebenen Einschränkungen, ist diese Frage äusserst wichtig. Es gibt in zunehmenden Masse Proteste gegen die getroffenen Massnahmen, so wie gestern in Berlin, und nicht nur von Jugendlichen; es gibt viele Menschen die sich nicht mehr um die Einschränkungen kümmern; das alles hat zu lange gedauert, sagen sie, jetzt muss das Leben wieder normal sein, müssen wir frei sein. Anderseits gibt es viele Menschen, die grosse Verantwortlichkeiten für unsere Ländern tragen, für die Gesundheitssysteme die es gibt, für die Krankenhäuser, für die Tragfähigkeit von Menschen auch, in ihren ökonomischen und persönliche Verhältnisse. Und jede und jeder muss sich irgendwo ein Gleichgewicht finden, zwischen dieser Freiheit und dieser Verbundenheit mit Menschen, sich seine eigene Verantwortlichkeit bewusst sein. Jeden Tag aufs neue, in alle grosse und kleine Entscheidungen unseres Lebens; wir können nicht mehr ohne.

Vielleicht gehört es jetzt zur Aufgabe der Kirche um, aufs neue, die Verbindung von Freiheit und Verbundenheit mit anderen Menschen nachdrücklich hervorzuheben. Wir leben nicht nur für uns selber. Wichtiger als das Gefühl für unsere eigene Möglichkeiten ist das Wissen um die Not von anderen Menschen, und die Bereitschaft sie darin zu helfen. Um sie durch die schwierige Zeiten ihres Lebens zu tragen. Und überhaupt, auch wenn sie nicht unbedingt auf Hilfe angewiesen sind, gehört es zu den Reichtümer des Lebens um andere Menschen einfach begegnen zu können, das Leben zu teilen, die Freude und die Sorgen, und so zu entdecken wie gut das Leben sein kann. Für anderen, für uns, für uns gemeinsam.

Bevor wir etwas sagen über die Bibelgeschichte von heute, über die Heilung eines Gelähmten, möchte ich eine Geschichte weiterleiten, die der französischer Schriftsteller Albert Camus fast am Ende seines Lebens geschrieben hat. “Der treibende Stein”, heisst dieser. Hauptperson dieser Geschichte ist ein Mann, d’Arrast, ein Wasserbauingenieur, der eben in Brasilien angekommen ist, um einen Deich zu bauen, damit ein am Fluss gelegenes Dorf gegen das Wasser geschützt ist. Er begegnet dort verschiedene Menschen, natürlich auch die wichtige Menschen des etwas höher gelegenen Dorfes, aber auch einen Koch, mit wem er intensiv spricht. Es ist am Vorabend “des Festes des guten Jesus”, das jährlich gefeiert wird um ein Bild von Jesus anzubeten das Fischer je auf dem Meer gefunden haben, und in einer Höhle gewaschen und aufgerichtet haben. Hier liegt auch ein grosser Stein, der wächst, obwohl die Menschen mit einem Hammer Stückchen davon abklopfen, die ihnen Glück bringen müssen; das also als ein Wunder erfahren wird.

Im Gespräch erzählt der Koch ihm, dass er vor einiger Zeit ein Schiffbruch erlitten hat, auf wunderbare Weise daraus gerettet wurde, und dabei ein Gelöbnis abgelegen hat um diesen Stein des gutes Jesus (der fünfzig Kilo wiegt) im Prozession mitzutragen.

Der Koch fragt dem Ingenieur ob er selber je auch so etwas erlebt hat, wie ein Schiffbruch, und dabei gebetet oder etwas versprochen hat, worauf dieser das bejaht. Jemand ist durch seine Schuld gestorben, sagt er, auch wenn er dabei um Jesus gerufen hatte. Der Koch fragt ihn dann ihn zu helfen sein Gelöbnis einzulösen, am folgenden Morgen, beim Prozession. Das ist noch nicht so einfach, nicht nur weil der Stein so schwer ist, aber auch weil es am Vorabend noch ein grosses Fest im Dorf gibt, um das Fest des heiligen Georg zu feiern, wobei man den ganzen Nacht tanzt, trinkt und betet. Der Koch sagt ihn, dass er zwar bei dem Fest sein will, aber nicht mittanzen will. Der Ingenieur verspricht ihn zu helfen, wird aber früh vom Fest entfernt, weil er zu sehr als ein Fremder erfahren wird. Der Koch aber bleibt, die ganze Nacht; alleine schafft er es nicht um vernünftig zu bleiben.

Am folgenden Tag findet der Prozession statt. D’Arrast, der Ingenieur, ist von den Honoratioren der Stadt eingeladen um vom Balkon des Hauses des Richters den Prozession zu verfolgen. Hinter der Heiligenschrein sieht er tatsächlich den Koch: wie er den schweren Stein auf seinem Haupt trägt, auf dem Weg von der Kirche zur Höhle des gutes Jesus. Wenn aber der Prozession zurückkehrt, ist der Koch nicht mehr dabei. D’Arrast sucht, und findet ihn, erschöpft, nicht mehr imstande den Stein weiterzutragen. Dann fragt er, d’Arrast, die Umstehenden ihn zu helfen den Stein auf sein Haupt zu heben, und geht mit dem Stein in der Richtung der Kirche. Die Menschen weichen für ihn aus. Dann aber, wenn sie nah an der Kirche sind, geht er zur Seite, an die Kirche vorbei, zum Dorf unten am Fluss, wo die Hütten der Armen sind. In einer davon, wo er schon früher war, tritt er herein, und wirft den Stein in der Mitte, auf dem Feuerplatz.

Wenn die Bewohner dann auch eingetreten sind, sehen sie ihn, stehend an der Wand, müde aber glücklich. “Mit geschlossenen Augen wurde er sich bewusst seiner eigenen Kraft, sagte noch einmal ‘Ja’ zum Leben, das für ihn aufs neue anfing”, schreibt Camus. Und der Bruder des Kochs, der auch wieder dabei ist, weist auf einen leeren Platz neben ihn, und lädt ihn ein: “Komm neben uns sitzen”. Mit diesem Satz endet diese Geschichte.

Diese beeindruckende Geschichte zeigt eigentlich den Weg von der Einsamkeit eines Menschen zur Entdeckung einer Solidarität, wozu ein Mensch (vielleicht für ihn selbst unerwartet) imstande ist. Die Kraft zur Solidarität wird hier entdeckt, und weitergeleitet. Und beantwortet von den Menschen mit wem er sich solidarisch erklärt hat: es wird eine Stelle für ihn bereitet, wo er sich zuhause wissen kann. Nicht bei den Honoratioren der Stadt, sondern bei den Armen. Nicht in der Kirche, wo es anfänglich hingehen musste, sondern bei den Menschen, die die Solidarität wirklich brauchen. Das kann eine Befreiung sein für einen Menschen, der die Last seiner Einsamkeit, und die Last einer Schuld, tragen musste, aber imstande ist, die Last eines anderen überzunehmen, und so für beide ein neues Leben zu schaffen. Eine neue Bestätigung des Lebens, das sosehr die Mühe wert ist um zu leben, gemeinsam mit einander.

Auch in der Bibelgeschichte die wir heute gelesen haben, die Geschichte der Heilung eines Gelähmten, geht es um etwas vergleichbares: um eine neue Bestätigung des Lebens, das (um sozusagen) aus den Händen von anderen wie neu gegeben wird. Es ist natürlich eine spektakuläre Geschichte, in dem Sinne, dass viel Aufwand notwendig scheint um das Wunder der Heilung zu bewirken: dass die Freunde des Gelähmten (wegen den vielen Menschen die um Jesus herumstehen) das Haus nicht betreten können, dann die Hintertreppe benutzen um auf das Dach zu kommen, dieses Dach dann aufdecken, um ihren Freund auf seiner Tragbahre hinabgehen zu lassen. So etwas eignet sich für einen Film, eine Szene die wir nicht so leicht vergessen. Aber durch diese spektakuläre Ereignisse hindurch schimmert eine Bedeutung die genau so unvergesslich ist. Hier wird die Bedeutung einer Solidarität gezeigt und ausgesprochen, die über alle Jahrhunderte danach irgendwie eine Rolle im Gedanken von Menschen gespielt hat. Und eigentlich ist diese ganz einfach.

Der Kernsatz dieser Geschichte wird so eingeleitet: “Als Jesus ihren Glauben sah…”

Die Grundlage für das ganze Geschehen ist ihr gemeinsamer Glauben. Dieser Glauben umfasst eigentlich viel zugleich: nicht nur ihr gemeinsamer Glauben in die Heilkraft von Jesus (dass er so bei Menschen anwesend war, dass er ihre beste Kräfte sah und entwickelte); auch nicht nur ihr gemeinsamer Glauben in die noch schlafende Kräfte ihrer Freund, die Hoffnung auf die Erweckung davon; aber vor allem vielleicht ihr Glauben in die ansteckende Solidarität, die Jesus ausstrahlte. Die er selber zeigte, an Menschen in Not; die er an Menschen weiterleitete; die sie beantworteten in ihre Taten von Nächstenliebe. In der Hoffnung dass diese Welt ein bisschen besser wird.

Dann werden auch wir aus unserer Gelähmtheit erweckt, die uns manchmal überfallt.

Dann werden wir aus unserer Einsamkeit befreit, und zu neue Menschen gemacht.

Dann wissen wir wieder aufs neue, wie gut es ist um mit Menschen zusammenzuleben, in Solidarität und Liebe.

Amen.

Gebet:
Lieber Gott,
wir bitten dich für die Menschen die krank sind,
die das schon lange Zeit sind,
und in ihrer Einsamkeit manchmal um Genesung bitten,
um Hilfe von anderen Menschen,
um ein bisschen Aufmerksamkeit und Liebe;
für diejenigen bitten wir auch, heute,
die von der Pandemie angesteckt sind die herumgeht,
sosehr unerwartet, sosehr unerwünscht;
die jetzt von anderen isoliert sind, sich isolieren müssen,
um keine Gefahr für anderen zu sein.

Gib, Gott, dass wir alle vorsichtig genug sind
um ohne Gefahren einander zu sein,
und dennoch unsere Zugehörigkeit zu einander
erleben und zeigen können.

Wir bitten dich, dass wir Menschen
immer besser verstehen können was es bedeutet
um wirklich für einander aufzukommen,
einander zu helfen,
die Lasten, die Schmerzen, von anderen mitzutragen;
um auch ihnen die Chancen zu bieten
das Leben zu bejahen, und wieder zu geniessen.

Sei bei uns, Gott, in unsere Einsamkeit,
in unsere Hilflosigkeit,
sei bei uns in unsere Stärke,
in den Möglichkeiten die wir haben
um so sehr bei einander zu sein
dass wir uns in dich verbunden wissen,
von dir geliebt, von dir ermutigt.

“Onze Vader….”

Amen.