Gottesdienst 27. September 2020
Bibellesungen:
Psalm 119: 140 – 144.
Johannes 8: 1 – 11.
Gebet:
Lieber Gott,
wir leben in eine verwirrende Welt,
worin viel geschieht das um Aufmerksamkeit fragt,
soviel widersprüchliches, soviel entsetzliches,
soviel auch das um einen Einsatz fragt,
von uns, von anderen Menschen,
einen Einsatz worüber wir manchmal nicht verfügen,
den wir auch nicht einmal wollen,
wenn wir nicht einsehen können
was notwendig ist, was liebevoll.
Es wird soviel gesagt, von Menschen,
was wir nicht alles tun müssen, und lassen;
es wird soviel getan, von Menschen,
ohne darüber nachgedacht zu haben;
es gibt so viele wichtige Probleme
die von uns allen, zusammen, wirklich gelöst werden müssen,
wissend wie krank soviel Menschen sind,
sehend wie hoffnungslos so viel Menschen sind
die in den Grundlagen ihrer Existenz getroffen sind,
die überhaupt kein Sinn im Leben sehen,
nicht wissen woher dieser kommen kann, für sie.
Wir bitten dich, sei du unser Gott,
der uns ein Halt im Leben gibt,
mach du uns klar was deine Worte sind,
die auch von uns benutzbar sind, und klar genug
um anderen zu stützen in ihr Leben;
mach du uns klar was unsere Taten sind
die noch beantworten an dich,
an was du von uns hoffst, in unserem Leben.
”Gib du uns alle Einsicht, damit wir leben.”
Amen.
Predigt:
Es ist eine schmerzhafte, peinliche, Geschichte, die wir heute gelesen haben. Eine Geschichte die beschämend ist für alle Beteiligten, mit wen Jesus hier zu tun hat. Eine Geschichte auch, die mindestens die Frage aufruft, wie wir umgehen mit dem was wir falsch gemacht haben im Leben. Aber was bedeutet das: etwas falsch machen im Leben?
Es ist auch nicht nur eine Geschichte von damals: auch jetzt passiert es noch, in bestimmte Teile unserer Welt, dass Menschen, Frauen vor allem, gesteinigt werden bei einem Ehebruch, oder beim Beleidigung des Heiligen.
Was treibt Menschen dazu um auf eine solche Weise zu strafen?
Was treibt Menschen dazu, um sich selber für so rein zu halten, dass sie meinen das Recht zu haben auf diese Weise anderen zu töten?
Lass uns versuchen diese Geschichte heute etwas genauer zu betrachten.
Es ist natürlich schmerzhaft, peinlich, wenn Menschen, in einer neue Liebe, ihre Treue, das gegebene Wort der Treue, einfach vergessen, ausser Acht lassn. Als ob das keine Rolle mehr spielt. Das bleibt schmerzhaft, auch wenn wir wissen, dass unsere Liebe für einander nicht immer ein ganzes Leben aushällt. In viele Religionen der Welt, auch in Judentum und Christentum, hat man denn auch den Ehebruch aufs strengste verboten; vor allem um die am meisten verletzbare Partner, die Frau, zu beschützen. Es kommt aber auch vor, dass ausgerechnet sie, die Frau, am meisten verantwortlich gemacht wird für die Ehebruch eines Mannes. So ist es auch in unsere Geschichte: nur die Frau wird vorgeführt, von den religiösen Führer des Volkes, und der dazugehörige Mann wird einfach nicht genannt, er bleibt abwesend, unsichtbar. Als ob er von seinen Freunden geschont bleibt. Die Ältesten, die Führer des Volkes, fühlen sich berechtigt durch das Gesetz: dieser Straf ist von der Tradition geheiligt. Auch wenn dieser Straf von den Römer schon verboten wurde. Was wurde Jesus davon halten?
Wie geht er, in seiner Weisheit, mit dieser heikle Frage um?
Das Wunderbare dieser Geschichte ist, dass Jesus an erster Stelle überhaupt nichts sagt, auf dieser Beschuldigung. “Er schreibt mit dem Finger etwas auf die Erde.” Und als sie weiterfragen, tut er das gleiche nochmals: “er bückte sich wieder und schrieb weiter auf die Erde.” Was er geschrieben hat, wird nicht gesagt, nur was er dann zu den Ältesten sagt: “Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie”.
Dieser herausfordernder Satz ist vor allem gemeint als die immer notwendige Aufruf zur Selbsterkenntnis, die hier in dieser Situation ausgesprochen wird, und eigentlich lebenslang notwendig bleibt.
Wissen wir, ob wir ganz schuldlos sind, ganz rein, ohne Sünde?
Dieses Wort ist natürlich ein beladenes Begriff. ‘Sünde’ umfasst nicht nur die Fehler die wir gemacht haben, – und wir alle machen Fehler – . ‘Sünde’ beinhaltet vor allem so etwas wie das Verfehlen unserer Bestimmung: wenn wir nicht im Leben tun, wozu wir im Leben bestimmt sind. Wenn wir nicht mit unseren Gaben, unseren Kapazitäten, tun wozu wir imstande sind. Wenn wir nicht den Mut zeigen um öffentlich aufzutreten, wenn die Situation um unseren Einsatz fragt. Wenn wir nicht die Liebe aufbringen, um anderen so zu begegnen, dass sie wesentlich weiter geholfen werden in ihrem Leben.
Aber manchmal vergessen die Menschen diese tiefer liegende Bedeutung des Wortes ‘Sünde’; ist es leichter für uns nur die mehr oder weniger ernsthaft Verfehlungen damit anzudeuten, die vielleicht leichter einzusehen sind; die vielleicht leichter anzuklagen und auch zu vergessen sind; vielleicht leichter auch zu vergeben. Auch von uns selber.
“Ohne Sünde”,- auch die Ältesten von damals, die Führer dies Volkes, sie waren mit diesem Wort von ihrer Beschuldigung beraubt, sie konnten nicht durchführen wozu sie gekommen waren, sie wussten unter das gleiche Verdikt zu stehen, dass sie angeführt hatten. Und das wichtigste vielleicht ist, dass sie wussten in ihrer Liebe zu versagen. Sie schämten sich dafür, und gingen weg.
Es ist faszinierend, in dieser Geschichte, um zu sehen, dass Jesus an erster Stelle sprachlos ist. Er wusste nicht, wie er auf diese Anklage, diese Fangfrage (wie er sehr gut wusste) antworten konnte. Diese Sprachlosigkeit an dieser Stelle erinnert uns vielleicht an Momente in unserem eigenen Leben, wo wir nicht mehr wussten was wir sagen konnten. Wo wir verblüfft waren über so viel Unverständnis; wo eine Frage, eine Bemerkung, so völlig neben der Sache war; wo jemand etwas so liebloses gesagt hat, dass wir nicht weiterwussten im Gespräch. Das sind Momente woran wir oft zurückdenken, die leider unvergesslich sind, und bei uns hochkommen, wenn wir die beteiligte Menschen wiedersehen.
Manchmal ist diese unsere Sprachlosigkeit auch für diese Anderen ein bedeutendes Moment. Wenn sie wenigstens empfindlich genug sind um aufzumerken was in unsere Gespräche passiert; wenn sie darüber nachdenken wollen; wenn sie verstehen wollen was wirklich wichtig ist in unsere Verbindungen mit Menschen.
Dann wird die unerwartete Sprachlosigkeit von Menschen so etwas wie ein Zeichen, das etwas wichtiges passiert. Oder sie wird eine Frage, eine Frage die wichtiger ist als alle Fragen und Bemerkungen die dann noch laut gestellt werden können. So wie hier in unsere Geschichte. Dann wird die Bemerkung, oder besser noch: der Ausruf Jesu (“Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie”) wie von einer Stille umfasst, eine Stille, eine Sprachlosigkeit die vorausgeht und eine die folgt, und so, zusammen, eine grosse Frage wird. Vielleicht eine der wichtigsten Fragen die wir überhaupt an einander stellen können (und die wir meistens nicht an einander stellen): was machst du eigentlich von deinem Leben, dass du so etwas tust, so etwas sagst, so etwas schreckliches vorstellst? Weisst du was Sünde ist? Weisst du was ein gelungenes Leben ist? Weisst du was es heisst, um – vor Gott – so zu leben, dass du dich als rein und in Harmonie mit den Menschen und dir selbst halten kannst?
Nach den Aufruf Jesu, und seiner Stille, seiner Sprachlosigkeit, gehen die Ältesten sprachlos nach Hause. Auch sie sind von einer Sprachlosigkeit befangen, die zu denken gibt. Vielleicht haben auch sie weiter darüber nachgedacht, was für sie eigentlich das wichtigste im Leben ist. Was ein gelungenes Leben ist; was das Verfehlen davon bedeutet. Und hoffentlich haben sie ihre eigene Antworten darauf gefunden, in ein gerechtfertigtes und liebevolles Leben.
Vielleicht gilt das auch für uns. Dass auch wir manchmal gerettet werden im Leben durch die treffende Bemerkungen von anderen, von Freunden, von Gegnern. Von einer Frage die unerwartet auf uns zukam, bewusst von einem Menschen gestellt, oder einfach von uns gehört, in einer Stille.
Ich komme darauf durch einen Satz des damals noch jungen Dichters Friedrich Hölderlin. In seinem ersten Versuch zur Roman “Hyperion”, das ein Fragment geblieben ist und publiziert von Schiller in seinem Zeitschrift “Thalia”, beschreibt Hölderlin verschiedene Versuche eines jungen Mannes um “die Wahrheit” zu finden. Nicht als eine theoretische Errungenschaft, aber als eine Möglichkeit um zu leben; um so etwas wie ein gelungenes Leben zu erfahren. Er sucht das bei Menschen, er sucht es in der (vor allem antike) Kultur, und dann auch in der Natur. Auch um so etwas wie eine Vereinigung mit Gott erleben zu können. Dann beschreibt Hölderlin so etwas wie eine heilige Frage die er hört, sitzend und gehend in einem Kreis von Platanen, an einer stiller Herbsttag, wo kein Laut sich regt:
“Da ward ich, was ich jetzt bin. Aus dem Inneren des Hains schien es mich zu mahnen, aus den Tiefen der Erde und des Meers mir zuzurufen, warum liebst du nicht mich?”
In der eine oder andere Form, bei Menschen, bei Büchern, in der Natur auch, können auch wir diese Frage hören. Als eine Frage von Gott. Als eine Frage an uns. Als eine Frage an uns, wo unsere Liebe bleibt. Die so notwendig ist, für das Leben mit einander; die so notwendig ist für eine lebendige Gemeinschaft; die so notwendig ist für eine kranke Welt, die unsere Liebe braucht.
Amen.
Gebet:
Lieber Gott,
wir bitten dich für alle Menschen
die versuchen zu hören was du uns zurufst,
in allem was Menschen zu uns sagen,
in was die Natur uns zuflüstert,
in aller Reichtum auch einer Kultur
die auch an uns gegeben ist,
von altersher, von Menschen gemacht
und so oft inspiriert von dir,
was du uns Menschen sagst.
Sei bei uns, Gott, damit wir hören
was du uns sagen willst,
was du von uns allen hoffst.
Wir bitten dich für alle Menschen
die versuchen vernünftig umzugehen
mit alle Fragen unseres Lebens,
mit alle Probleme in unserer Welt;
gib, dass wir wissen dass wir Fehler machen,
dass wir verzeiht werden, vergeben werden können,
dass wir die Chance haben unsere Liebe auch dann zu zeigen
wenn das Leben schwierig wird.
Wir bitten dich für alle Menschen
die versuchen liebevoll umzugehen
mit wen sie in ihrem Leben begegnen;
gib, dass wir offen stehen für was ungewohnt ist,
dass wir Verständnis haben für was uns fremd ist,
dass wir die Reichtum versuchen zu verstehen
die in alle Menschen liegt;
gib dass wir verstehen was du uns reichst,
in unserem Leben, in unseren Begegnungen mit Menschen,
in unserer Gemeinde auch, in dieser Stadt,
als ein Zeichen von dir.
“Onze Vader…”
Amen.