Gottesdienst 27. Oktober 2019

Bibellesungen:
Psalm 121.
Lukas 18: 18 – 27.

Gebet:
Lieber Gott,
auch heute kommen wir zu dir, mit unserem Gebet,
auf unserem Lebensweg, in diesem Moment des Lebens,
um uns ein bisschen mehr als sonst bewusst zu werden
dass wir es brauchen um in deiner Nähe zu sein,
als ein Moment der Stille, der Andacht auch
für was sich tief in unserer Seele abspielt,
für was wir wirklich brauchen, um zu leben,
um Aussicht auf ein sinnvolles Leben zu behalten.
Wir tun soviel, sind endlos unterwegs,
um all’ den Dingen zu erledigen, die uns, von woher auch,
so oft als unbedingt notwendig erscheinen,
das aber später überhaupt nicht sind.
Es gibt so viele Umwege in unserem Leben auch,
die uns ablenken von dem, was wir im Leben wirklich tun müssen.
Es gibt so viele Fragen, Gott, über das Leben das wir führen,
über die Menschen die es fuhr uns gibt,
über die Sorgen die uns so beschäftigen,
über die Richtung die wir nehmen müssen
um das zu tun was wirklich bei uns passt,
was auch bei dir gehört, bei uns als deine Menschen.
Sei bei uns, Gott, mit deiner Hilfe,
wenn wir sie fragen, oder nicht;
wir brauchen sie, in unserem Leben, unterwegs,
wenn wir alleine sind,
wenn wir mit Menschen sind, auf unsere Reise durch das Leben;
auch wenn wir fröhlich sind, und unbesorgt,
auch wenn es Licht ist, aber auch im Finsternis,
wenn wir nicht mehr sehen was wir tun.
Sei bei uns, Gott, bei unsere Fragen,
damit wir wieder sicher sind, dass es auch Antworten noch gibt,
auch Antworten von dir, du unser Gott.
Amen.

Predigt:
Im Gottesdienst von heute, in der Predigt, möchte ich drei Fragen neben einander setzen, und – vielleicht – mit einander verbinden.
Die erste Frage ist diese: “Welchen Lebensweg werde ich einschlagen?”
Wenn diese Frage so gestellt wird, denken wir vor allem an junge Menschen, die noch die wichtigste Entscheidungen ihres Lebens treffen müssen, und nicht sicher darüber sind, was sie eigentlich wählen können. Die darüber Rat fragen an anderen, an älteren, weiseren Menschen vielleicht; an Freunden, an Eltern, an Grosseltern auch. In der Hoffnung eine Antwort auf die dringende Frage zu bekommen: “Welchen Lebensweg werde (muss) ich einschlagen?”
In dieser Form stammt diese Frage aus einem Traum eines jungen Französischen Mann, René Descartes, der später ein berühmter Philosoph werden sollte. Damals aber war er 23 Jahre alt, beschäftigt mit militärischen Sachen, erst in den Niederlande, im Heer von Mauritz von Nassau, danach in Deutschland. In seinem berühmten “Discours de la Methode” schreibt er, Jahre später, darüber: “Ich befand mich damals in Deutschland, wohin mich der Anlass der Kriege, die dort noch nicht beendet sind, gerufen hatte.” Im Winter aber, wenn nicht gekämpft wurde, zieht er sich zurück vom Heer, und schreibt: “So blieb ich den ganzen Tag allein, eingeschlossen in eine warme Stube, in der ich alle Muße fand, mich mit meinen Gedanken auseinanderzusetzen.”
Aus einer andere Quelle, aus einer Biographie seines Freundes Adrien Baillet, wissen wir, dass er dort einen Traum erlebte, worin ihm offenbar wurde, was er in seinem Leben wirklich tun musste. Dieser Traum fand statt in der Nacht von 10 auf 11 November 1619, also genau vor jetzt fast vierhundert Jahre. Drei Träume hinter einander sind es eigentlich, worin er so etwas wie eine philosophische Bekehrungsgeschichte erlebte. In der letzte dieser Träume wird beschrieben, wie ihm zwei Bücher erschienen, ein Lexikon, das von ihm später interpretiert wird als die Zusammenfassung aller Wissenschaften, und eine Sammlung von Gedichten. Er wird so neugierig dass er anfängt darin zu lesen, und das erste Gedicht das er dann liest, fängt mit der schon genannte Frage an: “Welchen Lebensweg werde ich einschlagen?” Dann erst bemerkt er einen ihm unbekannte Mann, der ihn auf ein anderes Gedicht weist, das mit “Ja und Nein” anfängt, “das er ihm als ein ausgezeichnetes Gedicht pries”. Später interpretiert er diese Sammlung von Gedichten als die Verbindung von Philosophie mit Weisheit, die beide für die Begeisterung stehen; für die Samen der Weisheit, die Menschen in ihrem Leben brauchen. Dieser Traum, schreibt sein Biograph, “deutete ihm, wie er meinte, die Zukunft an, und handele nur davon, was ihm im Rest seines Lebens geschehen müsse.” Und etwas später schreibt er, wie Descartes, in seiner Verwirrung nach diesem Traum, “sich Gott zuwendete, den er bat, ihm seinen Willen zu erkennen zu geben, ihn erleuchten zu wollen und ihn bei der Erforschung der Wahrheit zu leiten.”
Und das hat Descartes dann auch konsequent getan, – man könnte auch sagen: das hat Gott ihn gegeben, – : suchen nach diese Wahrheit, die für ihn vor allem lag in der Begründung der Erkenntnis, in einem festen Punkt, von wo aus man die Wissenschaften, und damit das Leben von Menschen aufrichtig und klar aufbauen konnte. Eine Sicherheit des Lebens die für ihn in der Möglichkeit des fest gegründetes Denken liegt.
Wie wissen wir was wir in unserem Leben wirklich tun müssen? Hier, bei Descartes, ist es offenbar ein Traum, der ihn auf den Weg seines Lebens gestellt hat. Ein Traum worin Bücher eine Rolle spielen, und ein unbekannter Mann, der ihm einen wichtige Hinweis gibt. Das alles führt ihn zu einer grundlegende Änderung seines Lebens, zu dem was letztendlich seine Rolle sein wird in der Entwicklung des “denkenden Ichs”, als eine fundamentale Weise des Denkens. Das alles fängt mit diesem Traum an, in 1619.
Diese Jahreszahl gibt zu denken: 1619. Es war genau das Jahr worin die Remonstranten, die Nachfolger des Theologen Jakobus Arminius, aus der damaligen reformierten Kirche ausgeschieden wurden. Hat das eine etwas mit dem andere zu tun? Gibt es hier eine vergleichbare Frage? Vergleichbar also mit dem Traum worin Descartes den grundlegenden Hinweis für sein Leben empfing? Welche Frage ist dann eigentlich grundlegend für die damaligen Remonstranten, oder für Arminius selber?
Kurz gefasst, – wir können hier nicht die ganze Geschichte erzählen,- geht es Arminius nicht wie bei Descartes um das denkende Ich, sondern um das glaubende Ich. Um die Frage: wie kann ich, so wie ich bin, mit meinem Leben, in meinen Umstände, auf meine eigene Weise (‘authentisch’ würden wir sagen) in dem Gott glauben, wovon wir soviel gehört und gelesen haben?
Arminius fühlte sich schon als Jungen dazu gedrängt, die überlieferte Auffassungen des Glaubens selbst zu untersuchen, und (vielleicht) zu verwerfen. Als er 15 Jahre alt war, und in Marburg studierte, hörte er dass sein Vaterstadt Oudewater von den Spanier eingenommen und fast alle Einwohner ermordet wurden, auch seine eigene Familie. Von da an wusste er wie schrecklich Glaubensfanatismus und Gewalt waren, wie fragwürdig gefestigte Glaubensauffassungen sein könnten, und suchte er, in seinem relativ kurzen Leben, einen friedfertigen Glauben, wobei ein Mensch, mit seinem Gott und seinen Nächsten, in Liebe und Frieden leben kann. Nicht alle überlieferte Glaubensauffassungen sind gleich wichtig, wir können manchmal auch ohne. Später, wenn er in den Kampf um die Prädestination, die Vorsehung Gottes, gegen seinen Willen gezogen wurde, sucht er nach eine eigene glaubwürdige Weise des Glaubens.
So schreibt er zu seinem besten Freund, dem Theologen Johannes Wtenbogaerdt, dass er hofft zusammen, in ihrer Korrespondenz, die Wahrheit zu finden. “Denn so ist es mit der Wahrheit, dass sie allmählich durchschimmert, wenn sie eingehend, ohne Leidenschaft und ohne Sucht zur Unterschied untersucht wird. Wer sie nicht untersucht, scheint die eigene Gefühle zu fürchten, und nicht erkennen zu wollen, dass sie weniger feststeht. (…) Die Wahrheit, auch die theologische Wahrheit, liegt in einem tiefen Brunnen, woraus sie nicht ohne grosse Anstrengung zum Vorschein geholt werden kann. (…) Aber ich bete zum Gott der Wahrheit, sie mir zu seiner Zeit zu schenken, zur Ruhe meiner Seele. Dann werde ich mich freuen, wie über das Finden einer kostbaren Schatz, und meine teuere Verpflichtungen erkennen zu allen, die mir irgendwie geholfen haben, diesen Schatz zu finden.”
Hier kein Traum, wie bei Descartes, um auf die Spur der Wahrheit gestellt zu werden, sondern die eigene grundlegende Erfahrungen des Lebens, und eine Freundschaft, eine Gemeinschaft, die hilft um zusammen die Wahrheit zu suchen. Und dabei auch das Gebet zu Gott, in der Hoffnung von ihm auf den Weg zur Wahrheit gestellt zu werden. Das aber auch im Vertrauen auf das eigene Denken, den eigenen Glauben, als die einzige Chance um ehrlich gegenüber uns selber und unsere Nächsten unser eigenes Leben zu führen. Als ob wir dazu gerufen werden.
Gerufen werden, – das heisst nicht immer, dass wir zu einem speziellen Auftrag, zu einer Pflicht, von Gott auserwählt werden um etwas ganz spezielles zu tun oder zu sagen. Es kann auch einfach heissen, dass wir zu unserem eigenen Dasein gerufen werden; zu dem was ausgerechnet wir für uns selbst und im Leben von Menschen sein können.
So etwas können wir lesen in was früher die Geschichte des reichen Jünglings genannt wurde. Auch hier steht eine Frage am Anfang, eine Frage an Jesus: “Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?”
Es ist wichtig um gleich das grosse Missverständnis wegzunehmen, als ob es hier um ein Leben nach dem Tod gehen würde. ‘Das ewige Leben’, – das ist nicht sosehr das Leben, wie wir es nach dem Tod, ohne Grenzen, ewiglich, weiterführen mögen, aber vielmehr das wirkliche Leben gemeinsam mit Gott, in aller Aufrichtigkeit, und in aller Liebe wozu wir imstande sind. Um diese geben zu können; um diese empfangen zu können. Natürlich ist es die Frage, für uns alle, wie wir das verwirklichen können: was muss ich dafür tun?
Um diese Frage einfach zu halten, gab es – schon immer – die bekannte Regel, die von der Tradition geheiligt waren. Wie die zehn Gebote zum Beispiel: was jede und jeder schon immer wusste; womit wir aufgezogen sind; was in unserem Gewissen eingeschliffen ist. Die Frage die hier in unserer Geschichte an Jesus gestellt wird, ist also eine Frage zum wohlgekannten Weg: der Mann wusste schon wonach er fragt, und alle herumstehenden wussten das auch.
Dadurch aber dass diese Frage an Jesus gestellt wurde, und von ihm beantwortet wird, wird auch deutlich dass die Frage womit unser Leben aufs Spiel steht, eigentlich, was genau wir in unserem Leben vor Gott tun können, – dass diese Frage über die einfache bekannte Antworten weit hinaus geht. Können wir auf diese Frage überhaupt eine Antwort von anderen erwarten? Müssen wir nicht vielmehr selbst diese Frage beantworten? So wie Descartes diese in seinem “denkenden Ich” gefunden hat, und Arminius in seinem “glaubenden Ich”?
Es müssen aber auch nicht die wichtigste Antworten der Welt sein, die wir uns selber geben auf die Frage nach dem ewigen Leben; was wir vor Gott sein, was wir vor ihm tun können. Und etwas davon wird sichtbar im Gespräch das Jesus hier führt. Er fragt den Jüngling seine Reichtum aufzugeben, und schon diese Frage macht ihn traurig, denn er war sehr reich. Darüber geht unsere Geschichte auch: um die Frage ob wir bereit (oder imstande) sind, unsere Reichtum aufzugeben, was die Kostbarkeit unseres Lebens ausmacht.
Aber durch diese Frage hindurch schimmert auch die Frage, wie sehr wir in unsere Reichtümer gefangen sind; ob wir das noch wissen; und ob wir uns davon lösen können, um eine Einfachheit des Lebens wählen zu können, die heilsam ist für uns selbst, und für unsere Kinder.
Es gibt soviel in unserem Leben das wir tun müssen, finden wir; um das Leben das uns von allen Seiten vorgespiegelt wird als das ideale, das gute und glückliche Leben nicht zu verpassen.
Es gibt soviel das unsere Kinder tun müssen, um an die Idealbilder die wir von Kindern haben, zu beantworten. Es gibt soviel Möglichkeiten die alle verwirklicht werden müssen, soviel Sporte, soviel Schulen, soviel Ferien, soviel Freunde, die alle ihre Forderungen stellen. Es ist als ob die Standards dessen was was wir als normal betrachten, als dazugehörig, als psychisch gesund, immer höher gestellt werden müssen, und es dadurch immer mehr Menschen gibt, vor allem Kindern auch, die das alles nicht mehr mitmachen. Die durch diese Reichtum von uns allen, nicht mehr die Chancen sehen für ein eigenes Leben; die dadurch den Weg zum Leben, zum ewigen Leben (um sozusagen) aus dem Blick verloren haben. Wozu sie, wozu wir, eigentlich gerufen sind, mit dem was wir im tiefsten sind. In aller Schlichtheit, vor Gott und die Menschen. Mit dem was wir einfach denken, was wir in unseren Herzen fühlen, was wir wirklich glauben können.
Damit wir einfach Mensch sein können, in der Freude wozu Gott uns gerufen hat.
Amen.

Gebet:
Lieber Gott,
wir bitten dich für die Menschen
die die Sicht auf ihrem Lebensweg grösstenteils verloren haben,
die nicht mehr wissen was sie mit ihrem Leben tun können,
die die Sicht auf sich selbst verloren haben,
nicht mehr wissen was ihre Kapazitäten sind,
ihre Möglichkeiten um zu leben,
um Freude, um Lebenslust um sich her zu verbreiten;
sei du bei ihnen, Gott, als einer
der uns die Freude um das Leben zurück gibt,
uns wissen tut was wir für wichtig halten können,
uns uns dafür auch Mühe geben.
Wir bitten dich für die Menschen,
die nicht die Freiheit kennen um ihr eigenes Leben zu leben,
die darin verhindert werden durch unterdrückende Obrigkeiten,
durch Zwangsbilder auch die uns von woher auch auferlegt sind,
von dem was wir alles tun und geniessen müssen;
sei du bei ihnen, Gott, sei du bei uns,
wenn wir versuchen ein eigenes, reines, Leben zu leben,
um in deiner Nähe zu sein,
um von dir die Weisheit zum Leben zu empfangen.
Wir bitten dich: sei bei uns allen, Gott,
in Krankheit und Gesundheit,
wenn wir unglücklich, wenn wir glücklich sind,
sei unsere Hilfe wenn wir unterwegs sind,
gib uns Vertrauen dass das Leben gut ist,
dass wir in Frieden leben können als Völker dieser Welt.
“Onze Vader…”
Amen