Gottesdienst 26. Januar 2020

Bibellesungen:
Psalm 146.
Deuteronomium 5: 12 – 16.
Markus 2: 23 – 3: 6.

Gebet:

Lieber Gott,
wir hören so viele Wörter die Menschen benutzen,
und wissen manchmal nicht wie wichtig sie eigentlich sind,
auch wenn sie als wichtig angepriesen werden,
mit grossem Nachdruck benutzt;
wir lesen auch manchmal in den heiligen Schriften
so viele grosse Worte, durch Jahrhunderte hindurch
von Menschen gesprochen, gebetet, in Diskussionen zitiert,
die von einer langen Tradition geheiligt scheinen,
aber dennoch schwierig zu verstehen sind,
unausführbar für uns scheinen wenn wir es versuchten
sie in der Praxis zu verwirklichen,
wofür sie doch geeignet sind,
von Menschen je dafür bedacht,
vielleicht von dir an uns gegeben.
Wir wählen manchmal aus, von diesen Worten,
was uns am leichtesten gefällt,
was wir schon immer wollten;
oft sind sie aber auch für uns zu unzugänglich
für was wir nicht gewohnt sind zu verstehen,
und hören dann vielleicht vorbei
an was du, Gott, von uns verlangst, von uns hoffst,
was deine Weisung ist, für uns,
für Menschen hier auf unsere Erde.
Wir bitten dich, dass du uns immer wieder zeigst
was deine grosse Worte auch für uns bedeuten,
wie du auch unsere Möglichkeiten siehst,
wie du ein bisschen auch von uns erwartest
wie wir im Kleinen tun können
was du im Grossen schon für uns getan hast;
wie wir auch schöpferisch im Leben stehen können,
in Umgang mit den Menschen die es für uns gibt,
in Treue und Gerechtigkeit, in Sorge und in Freiheit,
damit es gut in deiner Schöpfung geht,
damit es Frieden gibt, damit du bei uns bist,
als deine Menschen die du liebst. Amen.
Predigt:

Am 17 Januar 1945, – also genau vor etwas mehr als 75 Jahre, – schrieb der besondere Theologe Dietrich Bonhoeffer seinen letzten Brief an seinen Eltern. Er war im Gefängnis, in Berlin, in der Prinz-Albrecht-Straße, wegen seiner Rolle im Widerstand, und wurde dann später, kurz vor Ende des Krieges, am 9 April desselben Jahres, dort umgebracht. Seine Briefe, und andere Texten aus den letzten Jahren seines Lebens, sind dann später unter dem Titel “Widerstand und Ergebung” publiziert, und berühmt geworden. Es ist passend, glaube ich, um in diesen Tagen, worauf wir die Opfer des Nationalsozialismus gedenken, bei ihm anzufangen.

Sein letzter Brief war nicht als ein solcher gemeint; er war kein Abschiedsbrief. Er knüpft an an eine damalige nationale Aktion, das sogenannte “Volksopfer”, wobei die Bevölkerung gefragt wurde ihre überflüssige Sachen wegzuschenken, um damit anderen zu helfen. Bonhoeffer stimmt darin zu: er bittet seine Eltern über seine Sachen zu verfügen: auch sein Smoking, schreibt er, und einen Filzhut können sie ruhig wegschenken. “Kurz, gebt ohne Bedenken ab, was irgend gebraucht wird” unterstreicht er eben in seinem Brief. Er geht aber auch über diese einfache (und vielleicht etwas ironische) Handlung aus, und stellt (wie fast immer) die Sache prinzipiell vor. Er schreibt: “Wenn man bedenkt, wieviele Menschen jetzt täglich alles verlieren, hat man eigentlich gar keinen Anspruch mehr auf irgendwelchen Besitz. Ich weiß, daß Ihr ebenso denkt und möchte nur gern selbst an der Sache beteiligt sein.”

Es sind nicht die Sätze wodurch er berühmt geworden ist, in der Welt und der Kirche nach dem Kriege, aber es sind natürlich noch immer erstaunlich wunderbare Sätze, die auch jetzt ihre Aktualität haben. Auch dann wenn viele Menschen heute nichts davon hören und wissen wollen. Vielleicht ist es auch wahr, dass wir solche Dinge erst dann bedenken können, wenn wir in eine Situation leben worauf es wirklich darauf ankommt was wir tun. Oder in eine Situation, worauf wir bedenken worauf es ankommt im Leben von anderen Menschen. Wenn wir uns die einfache (und so schwierige!) Frage stellen, was wir für uns selber behalten mögen, und was wir an anderen wegschenken können. Was brauchen wir wirklich in unserem Leben?

Diese Frage hat sich Bonhoeffer immer gestellt in den letzten Jahren seines Lebens, auch verbunden mit den wichtigsten Fragen des Glaubens: was davon übrig bleibt. Was bleibt übrig, wenn wir in unsere Gesellschaft, und in unserem persönlichen Dasein, mit den heftigsten Dinge konfrontiert werden. Wenn wir um sozusagen auf dem Scheideweg zwischen Leben und Tod stehen. Er schreibt über diese Fragen vor allem an seinem Freund Eberhard Bethge, der nach dem Kriege sein Werk betreut und ausgegeben hat. Erbersucht auch selber eine Antwort darauf zu geben, suchend nach dem was übrig bleibt, was noch immer für ihn sicher ist, in einem der letzten Briefe den er seinem Freund geschrieben hat. Er schreibt, – und merken Sie sich das stets wiederholte Wort ‘gewiß’:

“Gewiß ist, daß wir immer in der Nähe und unter der Gegenwart Gottes leben dürfen und das dieses Leben für uns ein ganz neues Leben ist; daß es für uns nichts Unmögliches mehr gibt, weil es für Gott nichts Unmögliches gibt; dass keine irdische Macht uns anrühren kann ohne Gottes Willen, und daß Gefahr und Not uns nur näher zu Gott treibt; gewiß ist, das wir nichts zu beanspruchen haben und doch alles erbitten dürfen; gewiß ist, daß im Leiden unsere Freude, im Sterben unser Leben verborgen ist; gewiß ist, daß wir in dem allen in eine Gemeinschaft stehen, die uns trägt. Zu all dem hat Gott in Jesus Ja und Amen gesagt. Dieses Ja und Amen ist der feste Boden, auf dem wir stehen.”

Vielleicht ist es gut um in dieser Ausführlichkeit das Wort ‘gewiß’ wieder zu hören. Als ob wir dieses Wort lange nicht mehr gehört haben, es uns vielleicht ein bisschen abgewöhnt haben. Es ist auch nicht soviel mehr gewiß, in unserem Leben, und auch nicht in unserem Glauben, vielleicht.

Aber genau diese Ungewissheit hat auch eine gute Seite, weiss auch Bonhoeffer. Sie behütet uns vor eine allzu starre Gewissheit, die uns manchmal verhindert zu sehen was wir brauchen; und was anderen brauchen. Auch wenn wir nach mehr Sicherheiten verlangen in unserem Leben, nach mehr Gewissheit, als wir uns manchmal bewusst sind. Um uns leichter im Leben aufrecht halten zu können. Um zu wissen auch worüber wir in unserem Glauben verfügen können. Um auch die oft so nötige Standfestigkeit zu bekommen, – wieder zu bekommen, – die uns im Stande stellt die grosse und kleine Entscheidungen unseres Lebens zu treffen. Oder um so zu handeln wie es einfach notwendig ist. Denn um wirklich handeln zu können, ist es notwendig um ein bisschen sicher zu sein: um zu wissen dass es gut ist was wir tun.

Wieviel Sicherheit brauchen wir dann in unserem Leben? Wieviel Gewissheit? Wieviel Kraft um einfach zu tun, was wir notwendig finden?

Über diese Fragen gehen auch unsere beide kleine Geschichten, die wir heute aus dem Leben Jesu gehört haben. Sie gehen beide über den Sabbat, über die Frage wie genau man die Ruhe dieses Tages halten muss. Aber durch diese Frage hindurch schimmern andere Fragen, andere Themen, die vielleicht viel wichtiger sind. Die die Zeiten überdauert haben, bis sie zu uns gelangt sind.
In der erste Geschichte wird so etwas wie eine gewisse Sorglosigkeit geschildert, eine Nonchalance, von Menschen, Jüngern, die durch die Kornfelder gehen, und unterwegs einige Ähren abrissen, um sie zur Stelle zu verzehren. An einem Sabbat. Und es gibt Menschen die sich daran ärgern, weil es (in ihren Augen) nicht erlaubt ist so etwas am Sabbat zu tun. Es ist einfach verboten, laut dem Gesetz, und wo bleibt man, wenn man sich nicht daran hält?

Die zweite Geschichte geht noch einen Schritt weiter. Dort geht es nicht mehr um eine gewisse Sorglosigkeit, und auch nicht mehr um den Jüngern, sondern um eine bewusste Handlung Jesu: am Sabbat heilt er den “verdorrten Hand” eines Mannes, er gibt ihm das Leben in den Hand wieder zurück; er öffnet ihm wieder die Möglichkeit selber zu handeln. Auch das, diese Heilung, war nicht erlaubt am Sabbat, und es gibt Menschen die Jesus zur Rede stellen. Sie wollen aber nicht sosehr ein Gespräch darüber, sondern sind schon hier bereit zum Gewalt. Hier beim Anfang fast des öffentlichen Auftreten Jesu. Hier schon beschliessen sie ihn umzubringen, schreibt Markus. So leicht, in unseren Augen, sind Menschen also bereit zum Gewalt: wenn irgend etwas nicht stimmt; wenn es gegen unsere Auffassungen eingeht; wenn es (unseren Ansichten nach) die Gebote Gottes widerspricht. Hier liegt schon der Keim dessen, was später im Leben Jesu passieren wird; hier liegt schon der Keim auch von soviel Gewalt, soviel überflüssiger Gewalt, die im Laufe der Zeit an soviel Menschen verübt ist, bis auf den heutigen Tag.

Wer hat dann letztendlich recht, in solche Streitfragen? Wie können wir zu einer wirkliche Lösung kommen?

Was unglaublich wichtig ist, in solche Streitfragen, das ist um das bisschen Recht das der Ander hat, nicht zu bestreiten. Natürlich hat er eine andere Meinung, die auch begründet ist, wie denn auch: in seinem Gefühl, in seinen Gedanken, in frühere Verabredungen, in gewisse Traditionen, in dem Gesetz eben, das religiöse oder das gesellschaftliche Gesetz. Wie kommt man dann eigentlich weiter, wenn man das will, bevor es zu spät ist? Was kann einen Weg zum Frieden werden?

Vielleicht können wir auch hier versuchen, um Jesus in seinen Denkbewegungen zu folgen; weshalb er eine andere Auffassung über den Sabbat hat. Was er hier, und an viele andere Stellen tut, ist ein Versuch um zu den Kern der Frage durchzudringen, warum es eigentlich geht. Es geht ihn nicht um den Regeln, sondern um den Sinn. Es geht ihn nicht um die Frage ob der Sabbat heilig ist, sondern um die Frage ob der durch Gott geschaffene und befreite Mensch in seiner Würde dastehen darf, leben darf; auch am Sabbat. Er sagt: “Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat”. Warum geht es dann bei dem Sabbat?

In der Schrift, im Judentum, gibt es eigentlich zwei verschiedene Begründungen des Sabbat. Erstens verbunden mit der Schöpfung, als der Ruhetag Gottes selber, nachdem er die Welt geschaffen hatte; der deshalb auch dem Menschen gegeben wurde, für seine Ruhe. Und zweitens (und das ist unglaublich wichtig!) wird der Sabbat verbunden mit der Befreiung aus Ägypten, als sie noch Sklaven waren, so wie es in den zehn Gebote steht. Es ist also auch eine Erinnerung an die Befreiung, eine immer wieder zurückkehrende und immer notwendige Erinnerung an die Befreiung. Und, vielleicht auch, an die immer wieder notwendige Befreiung von durch Gott geschaffene Menschen. Wir müssen immer wieder bedenken wie Gott uns in unsere neu erworbene Freiheit nah ist!
Diese beide Begründungen des Sabbat kommen zurück in unsere beide kurze Geschichten von heute. Der Mann mit den verdorrten Hand wird genesen am Sabbat, er wird zurückgeführt zu dem wie er gemeint war, als bei der Schöpfung, damit er tun kann was er in seinem Leben vor Gott auch wirklich tun muss. Damit auch in seinem Leben die Schöpfung vollendet ist, und er seine Bestimmung finden kann.
Die Jünger, die die Schöpfung geniessen, beim Kornfeld, sie werden auch am Sabbat bestätigt in ihrer Freiheit. In ihr geniessen der Fruchten des Landes, in ihrer Harmonie, mit einander, mit der Natur, im Einklang mit Gott. In dieser gemeinsame Freiheit wird eine Zukunft geöffnet, die heilsam ist die Menschen, für die Welt. Eine Freiheit die Gewalt gegenüber Menschen, die eine Vergewaltigung der Natur eigentlich ausschliesst.

Es ist, glaube ich, wichtig, um für genau diese Freiheit zu stehen.
Bei einem der letzten Briefen an seinem Freund Eberhard Bethge hat Bonhoeffer auch ein langes Gedicht hinzugefügt, über die Freundschaft. Darin ist die Freundschaft so etwas wie das Modell des menschlichen Zusammenlebens, worin wir die für uns so wichtige Dinge des Lebens entdecken. Auch die Begegnung, auch die Freiheit, auch den Respekt für was der Ander ist, und denkt. “Der Freund” heisst dieses Gedicht.
Hierin kommt das Bild vor von einem Weizenfeld, das die Menschen nährt, das ehrfürchtig bebaut und gepflegt wird, woneben aber auch die schöne Kornblume blüht. Über diese Kornblume schreibt er:

Keiner hat sie gepflanzt, keiner begossen,
schutzlos wächst sie in Freiheit
und in heiterer Zuversicht,
daß man das Leben
unter dem weitem Himmel
ihr gönne.

Und dieses schöne Bild der Kornblume benutzt Bonhoeffer um sichtbar zu machen wie eine kostbare Freiheit in den Freundschaften von Menschen entdeckt werden kann. Er schreibt weiter:

Neben dem Nötigen,
aus gewichtigem irdischen Stoff Geformten,
neben der Ehe, der Arbeit, dem Schwert,
will auch der Freie
leben
und der Sonne entgegen wachsen.
Nicht nur die reife Frucht,
auch Blüten sind schön.
Ob die Blüte der Frucht,
ob die Frucht der Blüte nur diene,
wer weiß es?
Doch sind uns beide gegeben.
Kostbarste, seltenste Blüte
– der Freiheit des spielenden,
wagenden und vertrauenden
Geistes in glücklicher Stunde entsprungen –
ist dem Freunde der Freund.

So kann die Freiheit entdeckt werden, und gefördert, schreibt ein Gefangener (!): in den Freundschaften zwischen Menschen. Auch zwischen Menschen die sich völlig bewusst sind von ihre Verantwortlichkeiten, von dem was sie im Leben entdeckt und erworben haben; von dem was sie alles denken können, und mit ihren Hände tun können. Die völlig beschäftigt sind mit ihren eigenen Aufgaben, aber dennoch neben sich die blühende Kornblume, die sich in Freiheit gestaltende Nebenmensch, sehen und entdecken können. Als die Herausforderung an genau unsere Freiheit, an die Freundschaften auch die uns möglich sind. In der Erwartung des Lebens die damit gegeben ist, in dem Glauben den dadurch ernährt wird.
Amen

Gebet:

Lieber Gott,
wir bitten dich für die Freiheit von Menschen,
dass wir diese erfahren können,
auch wenn es in unserem Leben soviel Begrenzungen gibt,
dass wir kaum mehr wissen
wie gross die Gabe der Freiheit ist, die auch uns ist zugefallen,
wofür Menschen gekämpft haben,
ihr Leben gegeben.
Wir bitten dich für die Freiheit von anderen Menschen,
dass wir diese ihnen gönnen,
auch wenn sie anders denken, anders aussehen als wir;
gib dass Gespräche zwischen Menschen möglich sind,
auch wenn wir völlig andere Auffassungen haben,
auch wenn sie vielleicht bedrohlich für uns sind;
gib dass wir wirklich gute Gründe finden
um einander zu erreichen, um friedliche Lösungen zu finden,
um damit Gewalt soviel wie möglich auszutreiben,
oder mindestens einzuschränken.
Wir bitten dich für die Opfer von Gewalt,
das damals passierte, in den schrecklichen Zeiten,
für Opfer von Gewalt auch in unsere Zeit,
wo Menschen ohne Grund getötet werden,
vertrieben, ausgeschlossen, ihrer Zukunft, ihr Leben beraubt;
gib, Gott, dass wir, Menschen in dieser Welt,
immer besser verstehen können,
was es heisst um Mensch zu sein,
wie gross, und wie schrecklich, unsere Möglichkeiten sind;
dass wir die gute Chancen benutzen
um etwas Nächstenliebe zu zeigen,
und wirklich wissen was das ist;
dass wir Keime von Frieden blühen lassen,
wo wir einander finden,
wo wir einander lieben,
wo wir in guter Hoffnung einander die Hände reichen können,
über alle Unterschiede hinweg.
Wir bitten dich, Gott,
dass du uns nah bist, in soviel das wir denken,
in soviel das wir tun;
segne unsere Gedanken,
segne unsere Hände,
mach uns dienstbar für was du von uns erwartest.
“Onze Vader…”

Amen