Gottesdienst 26 August 2018

Bibellesungen:

Ezechiel 17: 22 – 24a.

Markus 4: 30- 32.

 

Gebet:

 

Lieber Gott,

wir kommen zu dir, mit unserem Gebet,

weil auch wir es brauchen uns in deiner Nähe zu wissen,

um wieder zu wissen, dass du anwesend bist bei uns,

in unserem Leben, in unserer Gemeinschaft;

dass du auch uns im Leben gepflanzt hast,

uns gerufen hast zu einer Fruchtbarkeit,

die nicht nur umwille von uns selbst uns gegeben ist,

als eine jedem Menschen gegebene Schönheit,

sondern auch für anderen da ist,

als eine Gabe von dir an uns alle,

als ein Keim von Glück für die Welt.

Wir suchen dich, um wieder zu wissen

was du uns alles im Leben gereicht hast,

mit unserem Leben, mit unseren Gaben,

mit dem was wir an Sinn im Leben erfahren,

mit dem Glück das uns wird gegeben;

wir suchen dich auch, durch soviel hindurch

was wir verloren haben im Leben,

an kostbaren Menschen, an grosse Hoffnungen auch,

an soviel dass das Leben anders macht

als wir es erwarten konnten, und haben gehofft.

Wir suchen dich, als einen Vertrauter, als einen Verlorenen,

als einer der zu unserem Leben gehört,

von Anfang an, oder später entdeckt;

mit deiner Hoffnung erfüllt, als mit einem Wissen,

was wir in unserem Leben brauchen,

was wir tun müssen, was wir können.

Sei bei uns, Gott, als bei deinen Menschen,

von dir geliebt.

Amen.

 

 

 

 

 

 

Predigt:

 

“Es ist ein grosser Unterschied zwischen etwas noch glauben, und es wieder glauben.”

Dieser (in meinen Augen) faszinierende Text wurde geschrieben von einem wunderbaren Denker des achtzehnten Jahrhunderts, Georg Christoph Lichtenberg, Professor in der Physik in Göttingen, Philosoph, der vor allem bekannt wurde durch seine manchmal scharfe aber auch sehr witzige Aphorismen, seine kurze Bemerkungen. Was er weiter über den Glauben geschrieben hat, war meistens nicht so positiv. So hatte er auch geschrieben: “Ich danke Gott jeden Tag, dass er mir zu einem Atheisten gemacht hat.” Aber auch dieser Ausspruch gibt zu denken: was damit wirklich gemeint ist. Fast immer ist er nicht nur witzig, sondern verbirgt hinter seine Witze auch seine persönliche Sorgen, Verletzungen, seine Ängste auch, und gibt seinen Leser immer auch Inspiration um selber weiter zu denken. Das war auf jeden Fall die Meinung Goethes, der irgendwo schrieb: “ Lichtenbergs Schriften können wir uns als der wunderbarsten Wünschelrute bedienen: wo er einen Spass macht, liegt ein Problem verborgen.” Es ist als ob ein Witz ein wirklich wichtiges Problem, das bisher verborgen war, nach oben zieht, uns bewusst wird, und manchmal auch diskussionsreif macht.

Was also ist das Problem bei dem Unterschied zwischen ‘noch glauben’ und ‘wieder glauben’?

Lichtenberg selbst gibt als erster ein Vorbild dieser Maxime. Er schreibt: “ Noch glauben, dass der Mond auf die Pflanzen wirke, verrät Dummheit und Aberglaube, aber es wieder glauben, zeigt von Philosophie und Nachdenken.”

Zwischen ‘noch glauben’ und ‘wieder glauben’ steht hier bei ihm also ein Prozess von Nachdenken, Reflexion: erst glaubt man etwas, in dem Sinne, man meint etwas zu wissen, was dann überholt wird von der Wissenschaft; aber wenn es dann später weitere Untersuchungen gibt, die Wissenschaft sich weiter entwickelt, dann ist es manchmal ganz in Ordnung was man anfangs geglaubt (oder gedacht) hat. Man muss also vorsichtig sein, um solche scharfe Urteile wie Dummheit und Aberglaube auf bestimmte Auffassungen zu kleben.

Gilt das auch für den Glauben im religiösen Sinn des Wortes? Gibt es auch hier manchmal eine Entwicklung von ‘noch glauben’ zu ‘wieder glauben’?

Ich denke dass wir alle, so wie wir hier bei einander sind, fast alle die Erfahrung gemacht haben, dass wir, in unserem Glauben, eine Entwicklung durchgemacht haben. Wir glauben nicht einfach mehr was wir als Kind geglaubt haben. Zwischen damals und jetzt gibt es Unterschiede. Diese sind vielleicht durch Nachdenken verursacht, aber vielleicht noch mehr durch andere Erfahrungen in unserem Leben. Durch schlimme Erfahrungen manchmal. die uns vertraute Bilder über Gott, über unser Glaube, abgebrochen haben, uns auch zu grosse Zweifel gebracht haben über den Sinn des Glaubens; zu Verzweiflung auch über den Sinn unseres Lebens, und wir die grosse Fragen des Lebens und des Glaubens aufs neue gestellt haben. Viele Menschen auch haben nicht eine neue Antwort auf diese Fragen gefunden, haben einfach (oder nicht einfach) Abschied von ihrem Kinderglauben genommen, und für sich selbst beschlossen die grosse Fragen des Lebens zu beantworten ohne Rechnung zu halten mit dem was in der Welt des Glaubens angeboten wurde. Andere sind durch die Krise des Glaubens, durch alle mögliche Zweifel, hindurchgegangen, und sind auf eine neue Weise mit ihrem alten Glauben weitergegangen. Entdeckend wie wichtig es dennoch für sie war um zu glauben. Wie reich es dennoch sein kann. Wie notwendig auch für das oft komplizierte Leben, das wir lieben, aber nicht immer ganz einfach finden.

Wenn wir diese Erfahrung kennen, von dem Unterschied zwischen ‘noch glauben’ und ‘wieder glauben’, – und deshalb auch wissen wie verletzbar unser Glaube eigentlich ist, wie leicht es von den grossen Stürmen unseres Lebens, und die grosse Fragen in der Welt, beschädigt und vernichtet werden kann, aber auch die Erfahrung gemacht haben, dass dieser leicht verletzbare Glaube auch kostbar für uns geblieben ist, die Stürme überlebt, und auch weiter fruchtbar ist in unserem Denken, bei der Lösung auch wichtiger Probleme in unserem Leben, – dann haben wir eigentlich etwas entdeckt, das zu den intimsten Geheimnisse des Glaubens gehört. Dass es nicht etwas massives ist, das immer gross und stark da ist, wie für die Ewigkeit gegeben, wie eine Festung die einfach da steht, die sich immer gegen alle mögliche Angriffe verteidigen kann, und einfach die Zeiten überlebt, als ob weiter nichts passiert, und nichts passieren kann. Dann entdecken wir, dass wir andere Worte, und andere Bilder brauchen, um deutlich zu machen was Glaube für uns bedeutet. Dann entdecken wir auch, dass die Bibel uns auch mit anderen Bilder verseht, damit auch wir einigermassen gestärkt sind im Umgang mit unserem Glauben. Damit auch wir es nicht einfach verlieren, in den Sorgen, oder in den vielen Freuden und Vergnügungen des Lebens.

Ein solches Bild gibt Jesus uns im Gleichnis des Senfkorn, das wir heute gelesen haben.

Natürlich ist dieses Bild aus der Vertrautheit mit der Natur gewonnen. Nicht notwendig aus dem Leben eines Landmannes, sondern von einem der sich oft und gerne in der Natur aufgehalten hat, und gut gesehen hat was sich dort alles abspielt. So weiss er von den verschiedenen Samen die es gibt, wie man diese erkennen kann, damit man weiss was später daraus kommt. Sie hatten die Samen damals noch nicht (wie bei uns) in kleinen Päckchen, worin genau beschrieben wird was diese enthalten, und was man dann erwarten kann. Man musste es selber wissen, den Unterschied kennen zwischen alle verschiedene Samen die es gab. Man musste sie auf der Hand halten um zu prüfen was es ist, bevor man zum Kauf überging, und später zum Pflanzen.

Das Bild aus unserem Gleichnis von dem Senfkorn stellt also notwendige Kenntnisse voraus, aber vor allem eine Verwunderung darüber was mit einem Samen wie dieser passiert. Wir müssen das eigentlich selbst je vor Augen gesehen haben, wie aus einem Samen eine grosse Pflanze, vielleicht ein Baum, wachsen kann, mit aller Pracht und allen Früchte die es dann geben kann. Wir sind das natürlich entwöhnt, wir kennen das kaum mehr. Vielleicht haben wir das noch in unserem Jugend selber gesehen, haben unsere Eltern uns das noch gezeigt, damit wir mindestens dieses Wunder der Natur mit eigenen Augen sehen konnten. Damit wir vielleicht auch eine kleine Verantwortung dafür tragen konnten, wie Wasser geben, Unkraut entfernen; an sich kleine Arbeiten, die (um sozusagen) den Keim, den Samen, von grossen und wichtigen Möglichkeiten von Menschen enthalten: von einem einfachen Wissen von Verletzlichkeit wofür man sorgen kann; von Verwunderung auch dass dasjenige wofür man sorgt auch wirklich gedeiht, sich entfaltet, und schön und stark und fruchtbar wird. Vielleicht war es auch damals schon spannend ob dies alles gelingen wurde, ob ‘unser’ Samen sich so entwicklen würde als uns vorgespiegelt wurde, wie wir erwarten konnten. Vielleicht hat es auch Zweifel gegeben, ob wir dazu imstande waren, mitzuarbeiten an diesem Wunder der Natur, das uns vielleicht zu gross vorkam.

Hoffentlich kennen wir diese Verwunderung, diese Verwunderung über das sich entfalten eines Keims von Fruchtbarkeit; hoffentlich kennen wir diese nicht nur aus unserer Kinderzeit, aber haben wir auch etwas davon bewahrt als Erwachsene. Als eine Verwunderung über das Leben, und über die viele Möglichkeiten und Wirklichkeiten die sich im Leben vortun.

Ich las bei den Russischen Dichter Joseph Brodsky, der als 32-Jährige gezwungen wurde ins Exil zu gehen, wie er schon bald danach in England war, in einer Gesellschaft von einigen Dichtern, und dass er (wie er schreibt) sich unglaublich angezogen fühlte von der ”ihnen gemeinsame Fähigkeit, Vertrautes mit erstauntem Blick zu sehen.” (246) Es ist nicht selbstverständlich um diesen “erstaunten Blick” auch als Erwachsene bewahren zu können. Aber ich bin davon überzeugt, dass nicht nur Dichter diesen Blick bewahren, sondern dass dieser Blick uns auch in unserem Glauben mitgegeben ist. Dass der Glaube dazu aufruft. Nicht nur der Glaube der uns ‘noch’ gegeben ist, sondern vor allem der Glaube der uns ‘wieder’ gegeben ist; den wir uns wieder erobert haben, gegen all unsere Zweifel, und alle den schwierigen Erfahrungen unseres Lebens hin. Damit wir wieder entdecken wie kostbar das Leben ist, von uns selber, und von anderen Menschen. Damit wir wieder sehen wie schön unsere Welt ist, wie fruchtbar die Natur, wie verletzlich sie auch ist, und unsere Sorge (und Sorgfalt) braucht. Damit wir wieder erfahren, wie teuer unsere Verbindungen mit Menschen sind, wieviel uns in diesen Verbindungen gegeben ist, und wie sehr wir auch hier zur Instandhaltung und Betreuung gerufen sind. In alle diese ‘Fälle’ ist es wichtig diesen erstaunten Blick immer wieder zu entdecken, als eine Möglichkeit unseres Glaubens, um die Welt (und alles was drin ist) als eine Gabe Gottes zu sehen, als wie neu vor unseren Augen.

Was wir, mit unseren Augen, sehen können bei den Samen die wir gepflanzt haben, wird von Jesus noch überboten durch sein Bild vom Senfkorn. Das ist (wie er sagt) “das kleinste von allen Samenkörnern, die man in der Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird grösser als alle andere Gewächse und treibt grosse Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können.”

Jesus spricht hier nicht sosehr von unserem Glauben, – das manchmal klein ist, aber gross werden kann, damit andere Geschöpfe bei uns sicher sind, – er spricht hier vom Reich Gottes. Das ist nicht sosehr ein konkretes Land, es ist auch nicht irgendwo im Himmel, auch nicht in einem Himmel auf Erden, es ist eher einem Zustand von Menschen vergleichbar, worin wir (wie Dietrich Bonhoeffer je geschrieben hat) “Gott und die Menschen gleichzeitig lieben”. Die beide Richtungen dieser Liebe können nicht gegen einander ausgespielt werden, sie gehören zusammen, als zwei Seiten einer Bewegung, die von Gott her stammt, uns berührt hat, durch uns hindurchgegangen ist, die wir weiterreichen an andere Menschen, die als “Vögel des Himmels” bei uns nisten. Auch wenn wir nicht immer dazu imstande sind, manchmal selber durch unsere Sorgen und Kummer geplagt, beschäftigt mit unseren eigenen Sachen, durch Zweifel und Unglaube manchmal abgeleitet von dem was wir eigentlich sind. Aber auch wir können dann unseren eigenen Glauben wieder entdecken, als ob dieser unterirdisch weitergewachsen ist, und, manchmal auf ein unerwartetes Moment, wieder zum Vorschein kommt, und sich in aller Fruchtbarkeit zeigt. Damit wir wieder schön sind.

Diesen wunderschönen Sommer, habe ich so etwas erlebt, als ich wieder das grosse Buch von Herman Melville las: “Moby Dick”. Ich hatte es als Junge verschlungen, ohne Zweifel in eine Version für Jugendliche, aber jetzt las ich es als Erwachsene, so wie es für Erwachsene geschrieben ist. Es geht über ein weisser Wal, der gefangen werden muss, aber nicht wird. Mehr will ich nicht davon erzählen. In diesem Buch werden auch Wale beschrieben, auch in ihrer Grösse, und in ihrer gewaltige Schönheit. In viele Beschreibungen dieses Buches kommt der Glaube zur Sprache, am schönsten vielleicht wenn einen Regenbogen beschreiben wird, der sichtbar wird im Fontäne des Wals. Melville schreibt: “Genau so blitzen, durch alle dichte Nebel der dumpfe Zweifel meines Geistes hindurch, manchmal göttliche Eingebungen, die meine Nebel mit einer himmlische Strahl entzünden. Und dafür danke ich Gott, denn wir haben alle unsere Zweifel, und viele verneinen für immer, und es gibt wenige die mit aller Zweifel und Verneinung über Intuition verfügen. Aber Zweifel an alles Irdische und von Zeit zu Zeit ein Schimmer des Himmlischen: diese Kombination macht weder den Gläubige noch den Ungläubige, sondern macht jemanden der diese beiden mit dem selben Auge besehen.”

Vielleicht kennen wir alle eine vergleichbare Erfahrung, wenn wir wirklich wissen, was wir ‘wieder’ glauben; wenn es uns wieder gegeben wird, durch unsere Nebel hindurch, die himmlische Strahlen zu entdecken, die vor unseren Augen sichtbar sind.

Amen.

 

Gebet:

 

Lieber Gott,

wir bitten dich

dass du uns alle festhält in deiner Liebe,

auch wenn wir kaum mehr wissen von dir,

auch wenn das Leben uns aus den unseren Händen gleitet,

wir nicht mehr wissen was wir im Leben tun,

wir nicht mehr wissen wer unsere Liebste sind;

bewahre uns dann, in deinen Gedanken,

denk an uns, in deiner Liebe.

Wir bitten dich für diejenigen

die uns vor Augen stehen als lichtende Bilder

von Mensch-sein, von Mut, von Nächstenliebe,

diejenigen die uns je inspiriert haben,

den Mut gaben um zu glauben in Hoffnung,

dass es gut mit den Menschen gehen kann;

gib, Gott, dass ihre Kraft, ihr Glaube, bleibend bei uns ist,

uns auf die Beine hält, uns verwandelt in mutige Menschen.

Wir bitten dich für unsere Glaubensgemeinschaft,

und für alle Kirchen in unserer Stadt, in unserer Welt,

dass sie stark sind in ihrem Glauben in dir,

lebend aus deiner Nähe mit uns, Menschen;

dass wir daraus den Mut schöpfen

um in deiner Liebe für Menschen zu glauben,

und diese auch selber verwirklichen

in Liebe für unsere Nächsten,

die uns brauchen, die es brauchen um wieder zu wissen

was Mensch-sein bedeutet, die eigene Würdigkeit,

unsere eigene Möglichkeiten um zu leben,

als Kinder von dir, getragen von deiner Liebe,

wissend von deiner Hoffnung, für uns alle.

“Onze Vader…”

Amen