Gottesdienst 25. August 2019

Bibellesungen:
Psalm 36: 6 – 10.
Mattheus 6: 25 – 34.

Gebet:
Lieber Gott,
wir kommen zu dir, weil wir es brauchen
um wieder ein Moment in deiner Nähe zu sein,
um wieder zu wissen wie wichtig es ist
uns vor dir zu stellen, um zu bedenken
wer du für uns bist, in deiner Güte,
wie du fest stehst für uns,
auch wenn wir auf so viele Wege gehen
wo du unsichtbar für uns bist,
wo wir dich nicht suchen,
wo manchmal eine Ahnung von dir ganz verschwunden ist.
Dennoch suchen wir dich,
manchmal auch für uns selbst überraschend,
manchmal finden wir dich, unerwartet,
auf den verschiedensten Wege unseres Lebens,
wenn wir deine Güte erfahren,
plötzlich wieder wissen wie gut das Leben sein kann;
wenn wir erweckt werden aus einem Schlummer
den wir uns nicht realisiert hatten;
wenn wir ermutigt werden um etwas zu tun, zu können,
das wir uns nicht anvertraut hatten;
wenn wir spüren in deiner Nähe zu sein,
oder danach verlangen,
wie “im Schatten deiner Flügel”,
wo du uns behütest für was wir nicht wollen,
wo du bei uns auch das gute aufrufst,
wo du uns mit Licht erfüllst
wo wir nur den Schatten sehen,
wo du uns das Leben reichst
wo wir auf dich hoffen.
Sei du bei uns als Quelle des Lebens,
damit wir dein Licht auch wirklich sehen.
Amen.

Predigt:
Die Zeit unserer Ferien ist für viele Menschen nicht nur eine Zeit des Reisens, der Erholung, im Sommer das Leben geniessen mit hoffentlich teueren Menschen, es ist (auch für mich) eine Zeit des Lesens. Manchmal andere Bücher als sonst, ganz entspannt. So las ich ich in diesem Sommer grosse Teile von Briefe des Französischer Schriftstellers Denis Diderot: Briefe an Sophie, seine Geliebte. Er ist auch selber auf dem Lande, bei Freunde, eine fröhliche Tischgemeinschaft, wo wunderschöne Gespräche stattfinden. Auf einem guten Moment entsteht ein Gespräch zwischen zwei Männer, wobei der eine für die Methode plädiert, das strenge Denken, die ordnende Methode, und der andere für “das schöpferische Genie”, wie Diderot sagt; für das freie Denken, das sich nicht von beengenden Regeln zwingen lässt. Das Gespräch läuft ziemlich hoch, bis ein Dritter, ein Italienischer Geistlicher, sie unterbricht, und eine Fabel erzählt. Es ist ein langer Fabel, wie er selber einräumt, über einen Streit zwischen Nachtigall und Kuckuck, über ihren Gesang. “Welcher Vogel”, fragte der Kuckuck, “hat einen so ungezwungenen, so einfachen, so natürlichen und so abgewogenen Gesang wie ich?” “Welcher Vogel”, erwiderte die Nachtigall, “hat einen süsseren, abwechslungsreicheren, helleren, leichteren, rührenderen Gesang als ich?” Der Kuckuck:”Ich sage wenig; aber was ich sage, hat Gewicht, hat Ordnung, man behält es”. Die Nachtigall: “ Ich spreche gern, aber ich lasse mir immer wieder etwas Neues einfallen und werde nie müde. Ich bezaubere die Wälder; der Kuckuck macht sie traurig. Er hält sich so streng an die Lektionen seiner Mutter, daß er nicht den Mut zu einem einzigen Ton aufbringt, den er nicht von ihr lernte. Ich dagegen erkenne überhaupt keinen Meister an. Ich setze mich über Regeln hinweg. Und gerade wenn ich sie übertrete, bewundert man mich. Wie könnte man seine langweilige Methode mit meiner glücklichen Ausgelassenheit vergleichen?’
Um eine Lösung für diese Streit zu finden, wenden sie sich – weil es eine “Ohrenangelegenheit” ist – zu dem Tier mit den größten Ohren: dem Esel. Er zögert, nicht weil er sich nicht zuständig achtet, sondern weil er sich gerade mit Essen beschäftigt, und das noch am liebsten weiter tun möchte. Aber letztendlich gehen sie zum Wiesenrand um dort auf ein paar Bäume zu singen. Erst singt der Kuckuck, nachdem er erst noch sein Gesang erklärt hat: “ Monseigneur, es ist kein Wort über meine Ansprüche zu verlieren; erfassen sie den Charakter meines Gesanges richtig, und geruhen sie vor allem, die Kunstfertigkeit und die Methode zu betrachten.” Und singt danach die verschiedene Variationen des Wortes Kuckuck. Und dann ist die Nachtigall an der Reihe. Diderot schreibt: “Und die Nachtigall erhebt ohne Umschweife ihre Stimme, schwingt sich zu den kühnsten Modulationen auf, führt die neuesten und auserlesensten Melodien vor. Es sind entweder kunstvolle Kadenzen oder endlos lange ausgehaltene Töne. Bald hörte man den Gesang hinabsteigen und tief unten in ihrer Kehle raunen, wie eine Welle im Bach, die sich stumm zwischen den Kieseln verliert. Bald hörte man ihn aufsteigen, allmählich anschwellen, die Lüfte weit und breit erfüllen und frei im Raum schweben. Er war bald sanft und anmutig, bald brillant und pathetisch, und welchen Charakter er auch annahm, er bleib stets ausdrucksvoll; dennoch war er nicht jedermanns Sache.
Wenn der Esel die Nachtigall dann – gähnend – unterbricht, sagt er zu ihr:” Ich zweifle nicht daran, daß alles, was Sie da gesungen haben, sehr schön ist, aber ich verstehe nichts davon. Es erscheint mir bizarr, verworren, unzusammenhängend. Sie sind vielleicht genialer als ihr Rivale, aber er ist methodischer als Sie, und ich für meinen Teil bin für die Methode.”
Und der Mann, der diese Fabel erzählt um den Streit seiner Tischgenossen zu beschleichen, weist auch den einen Mann (der für das freie Denken steht) als Nachtigall an, und den strengeren Denker als Kuckuck; und sich selber als der Esel, der die Rechtssache für den Kuckuck entscheidet: die strenge Methode hat den Vorrang bekommen vor die Kunstfertigkeit…. in dieser Geschichte.
Vielleicht geht es ihnen so wie mir, wenn wir diese lange Fabel lesen oder hören: dass wir auch die Ironie mithören, die in dieser Geschichte zu hören ist. Als ob auch der Erzähler selber ganz gut weiss, dass die Nachtigall natürlich viel schöner singt als der Kuckuck. Dass also auch die Kunstfertigkeit, die Fantasie, die Abwechslung, die Modulationen alle viel wichtiger im Leben sind als die eintönige Langweiligkeit; auch wenn wir ganz gut wissen wie wichtig es ist um klar zu denken. Dass also auch im Denken von Menschen das “schöpferische Genie” – wie am Tisch Diderots – so viel fruchtbarer ist als die beengende Regeln, die das freie Denken von Menschen so leicht ersticken können.
– Zwischendurch (bevor wir weitergehen) ist es vielleicht gut darauf hin zu weisen, dass auch in wichtigen Glaubensgespräche (die ganze Geschichte hindurch – auch bei der Entstehung der Remonstranten) eben dieselbe Problematik eine grosse Rolle gespielt hat: zwischen Menschen mit streng formulierten Glaubensauffassungen, die sich selber als rechtgläubig sahen, und anderen, für wen ein lebendiger Glaube sich nicht in beengenden Regeln einschliessen kann. Die die Freiheit eines selbst erfahrenen und formulierten Glauben bevorzugen vor den alten und manchmal auch ehrwürdige Traditionen. Dann kann man nicht ohne Ironie den streng normierten Auffassungen von anderen Beifall bezeigen. –
Aber, vielleicht geht die Ironie noch weiter. Vielleicht können wir sagen dass schon der Erzähler der Fabel von der Nachtigall und dem Kuckuck weiss, dass der Vergleich von zwei verschiedenen Menschen, und zwei verschiedenen Vögel, schon etwas in sich trägt, wovon man sagen kann, dass es schon hoffnungslos zu etwas entmutigendes führt, zu einem endlosen Streit. Vielleicht müssen wir so etwas überhaupt nicht wollen. Vielleicht müssen wir im Leben lernen, um uns das endlose Vergleichen von Menschen mit einander abzugewöhnen. Das könnte wirklich ein wichtiges evangelisches Motiv sein, das auch wir in unsere Zeit sehr brauchen.
Das Vergleichen von uns mit anderen Menschen ist natürlich etwas von alle Zeiten; vielleicht gehört es zum Menschsein selber, dass wir uns immer mit anderen vergleichen. Dass wir uns selber als wichtiger beachten als anderen, oder schöner, schlauer, reicher, mit mehr Voraussichten bereichert. Oder eher umgekehrt: dass wir anderen soviel mehr im Leben begnadigt achten; die soviel mehr als wir im Leben mitgekriegt haben, was uns als ungerecht trifft; worauf wir eifersüchtig sind, was wir nicht verkneifen können. Es ist manchmal als ob es im Leben fortwährend eine Art Wettbewerb stattfindet, auf viele verschiedene Bereiche des Lebens, worin wir uns bewähren müssen als der beste, die liebste, der oder die am meisten befähigte, die oder der am meisten geliebte. Nicht nur in der Gesellschaft, wo es oft öffentlich um solche Fragen geht, wo (meiner Ansicht nach) immer mehr öffentliche Wettbewerbe stattfinden, sondern auch (und vielleicht vor allem) nicht öffentlich, unterirdisch, unterschwellig: zwischen Familienmitglieder, zwischen Kollegen auf der Arbeit, in Vereine, fast überall wo Menschen eine scheinbar harmonische Gemeinschaft formen. Das Vergleichen von Menschen mit einander scheint so etwas wie die unausgesprochene Grundlage unseres Zusammenseins zu sein; und auch noch bisweilen ausgesprochen. Ist es ein Wunder dass soviel Menschen in unsere Gesellschaft davon krank werden; dass es eine explosive Zunahme von Burn-Out gibt (wofür es natürlich auch noch andere Faktoren gibt)?
Damit sind wir auch zu unserem Text aus dem Evangelium angelangt: bei den Worten die Jesus spricht um ein Unterschied zu machen zwischen “der falsche und der rechte Sorge”, wie es oben unseres Teil der Bergpredigt geschrieben steht. Es geht hier um wirklich wichtige Sachen des Lebens: um den Sorgen von Menschen. Diese sind viele: darin unterscheiden wir uns nicht von den Menschen aus seiner Zeit. Auch wenn wir manchmal andere Sorgen haben als die Menschen von damals. Von diesen Sorgen nennt Jesus zwei wichtige: die Sorge wie wir uns kleiden, und die Sorge was wir essen und trinken sollen. Das sind natürlich Fragen unseres täglichen Daseins: jeden Tag stellen wir uns diese Fragen. Was hier nicht zur Sprache kommt, ist die Frage wie diese tägliche Fragen abhängig sind von den grossen Entscheidungen unseres Lebens: was wir überhaupt im Leben tun; wie wir unseres täglichen Brot verdienen wollen (oder wollten); was wir mit unseren Fähigkeiten im Leben getan haben und noch weiter tun wollen; warum es im grossen und ganzes unseres Lebens eigentlich geht. Das tägliche Kleiden und das tägliche Essen sind beide meistens von den grossen Entscheidungen abhängig. Aber, dennoch, können auch die Sorgen darüber gross für uns sein. Zu gross vielleicht auch für die manchmal kleine Entscheidungen die wir nehmen müssen. Aber daran wird auch deutlich wie sehr unsere Gesellschaft sich von derjenige von Jesus selber unterscheidet: in seiner Zeit war die tägliche Entscheidung über das Essen, über die Kleidung vielleicht auch, entscheidend für das weitere Leben. Man lebte einfach vom einem Tag in den anderen. Und für viele Menschen unserer Zeit ist das noch immer so, die nichts mehr haben worauf sie zurückfallen können; die oft alles verloren haben was sie hatten; die vertrieben sind zum Beispiel und von allen Hilfsquellen abgeschlossen. Es sind also wirklich Hauptfragen unseres Lebens; die grosse Sorgen die wir haben, sind mit diesen Fragen verbunden. Aber wie gehen wir mit diesen Sorgen um? Wie geht es uns, wenn wir wach liegen in der Nacht, und nicht schlafen können? Wie geht es uns wenn wir uns nicht auf unseren Aufgaben konzentrieren können, und nur noch denken können an die grosse Frage die uns jetzt beschäftigt?
Überrasschenderweise führt Jesus hier in seiner Rede Bilder der scheinbare Sorglosigkeit ein. Er ruft uns auf uns zu vergleichen mit den Vögel des Himmels und mit den Lilien des Feldes. “Sie säen nicht”, sagt er von den Vögeln, “sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlische Vater ernährt sie’. Und etwas vergleichbares sagt er von den Lilien die auf dem Feld wachsen: “Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: ‘Selbst Salome war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen.”
Worte wie diese können uns vielleicht auch irritieren; als zu unpraktisch, auch wenn sie vielleicht schön poetisch sind. Als zu verständnislos gegenüber den wirklich grossen Sorgen die Menschen kennen über die harte, manchmal unbarmherzige Fragen des konkreten Daseins. Aber vielleicht liegt auch in diese Worte eine eigene Barmherzigkeit, der Anfang einer Umkehrung in unserem Denken, die uns wirklich weiterbringen kann im Leben. Es hilft vielleicht um zu denken dass dieser Vergleich mit den Vögeln des Himmels und den Lilien des Feldes vor allem die Absicht hat um uns den Vergleich mit anderen Menschen abzugewöhnen. Um uns nicht so sehr mit anderen Menschen zu vergleichen, sondern uns selber zu betrachten (um sozusagen)
unter dem freien Himmel. Um uns in unserem Mensch-sein zu sehen, und damit zu wissen wer wir in Wirklichkeit sind.
Das ist auf jeden Fall der Meinung des grossen Dänischen Theologen Sören Kierkegaard, der sich sehr oft mit diesem Abschnitt des Bibels beschäftigt hat. Aus einem der vielen Predigten, die er darüber geschrieben hat, möchte ich dieses Fragment zitieren. Er schreibt: “Ach, aber im fortwährenden Umgang mit den Menschen, in der mannigfachen Verschiedenheit und ihren verschiedenartigen Berührungen, bei der geschäftigen oder der bejammerten Erfindungsgabe des Vergleichs, vergißt man, was es heißt, Mensch zu sein, man vergißt es über der Verschiedenheit von Mensch zu Mensch. Aber auf dem Felde bei den Lilien, wo der Himmel sich so hoch wölbt – wie über einem Herrscher, frei – wie der Atemzug dort draußen ist, wo die großen Gedanken der Wolken alle Kleinlichkeit zerstreuen: dort ist der Bekümmerte der einzige Mensch und lernt von den Lilien, was er vielleicht von einem anderen Menschen nicht lernen könnte.” (173).
Vielleicht haben Sie, in diesem Sommer, etwas von diesem Himmel erfahren, mit ihren Vögeln und ihren Blumen, und von diesem freien Menschsein unter dem Himmel.
Haben Sie etwas erfahren auch von einer Freude, die unsere Sorgen für eine Zeit vertreibt.
Damit wir wieder wissen Mensch zu sein, so wie Gott uns dazu gerufen hat.
Amen.

Gebet:
Lieber Gott,
wir bitten dich, dass du bei unsere Sorgen bist,
bei uns, wenn wir uns so viele Gedanken machen
über die grosse und über die kleine Fragen
die wir uns manchmal täglich stellen;
die vielleicht überflüssig sind, vielleicht notwendig,
um Klarheit über das Leben zu gewinnen,
um einfach uns selber zu sein, und offen
für was wir für anderen sein können.
Sei dann bei uns, in aller Klarheit
womit du uns wieder auf die Beine stellst,
damit wir einfach Mensch von dir sein können,
in dich beruhigt, verfügbar für anderen.
Wir bitten dich für andere Menschen auch,
die sosehr von ihren Sorgen überhäuft sind,
dass sie kaum mehr wissen wie sie leben können,
was sie essen können, heute, morgen,
wo sie schlafen können, sicher sind,
ob sie je noch jemand finden
den sie vertrauen können, lieben,
jemand der ihre Sorgen teilen kann, lösen vielleicht;
sei du bei ihnen, als einer, der hört
was in ihrem Leben passiert, und mittragen kann;
gib uns alle die Offenheit um zu verstehen
was im Tiefsten von anderen wirklich passiert,
damit wir lernen um zu helfen,
uns in ihnen versetzen können,
damit die Einsamkeit von Menschen ein bisschen kleiner wird.
Sei bei uns allen, Gott,
in unseren Sorgen, in unseren Freuden auch
womit wir Mensch von dir sein wollen,
in deiner Liebe behütet.
“Onze Vader…”
Amen