Gottesdienst 23. Februar 2020
Bibellesungen:
Psalm 85: 9 – 14.
Matthäus 20: 20 – 28.
Gebet:
Lieber Gott,
wir kommen zu dir, erschüttert von soviel,
das in unserer Welt passiert,
wo es soviel Haß gibt, unterirdisch,
vor anderen versteckt, unerkannt von sich selbst, manchmal,
als ob es ganz normal ist um anderen zu hassen,
um sie in gegebenen Fall zu töten.
Von Zeit zu Zeit wird dieser Haß offenbar,
überirdisch, und können wir nicht mehr umhin
zu erkennen wie groß die Gefahr ist, wie groß die Angst,
die Bekümmernis darüber was dies alles für eine Gesellschaft bedeutet,
die noch immer nicht gut genug weiß, was uns gemeinsam ist,
wofür wir alle stehen, wie unterschiedlich wir auch sind,
wie wir zusammen einen Staat aufbauen können,
wo wir uns alle auch gesegnet wissen, von dem was es schon gibt,
von dem was du uns allen schenkst,
von dem was wir auch alle hoffen können.
Wir bitten dich, daß wir, aus welcher Religion auch stammend,
in unserem Leben deine Stimme hören können,
daß du uns sagst, was wir am besten tun können,
auch auf schwierige Momente unseres Lebens,
damit es Klarheit gibt in unseren Herzen,
damit es Klarheit gibt in einer Verzweiflung,
die nicht langer nach Gewalt sucht,
sondern wieder weiß was du von uns erwartest,
wie du uns darauf hinweist wie wichtig Menschen sind,
wie uns die Offenheit, die Liebe ist gegeben
um immer wieder zu entdecken
wie wir einander, wie aufs neue, begegnen können,
versuchen können einen Weg zu finden
die wir gemeinsam gehen können.
Sei bei uns allen, Gott, mit deiner Weisung,
laß uns in deine Spuren treten.
Amen
Predigt:
Im letzten Monat habe ich intensiv gelesen im neuerschienen Roman von Pascal Mercier, “Das Gewicht der Worte”. Es ist die Geschichte eines Mannes, der von seinem Arzt hört, dass er ernsthaft krank ist, nur noch kurze Zeit zu leben hat, – ein Bericht das sich sieben Wochen später als falsch erwiesen hat, beruhend auf eine Verwechslung von verschiedenen Röntgenbildern. In der Zwischenzeit hat er vieles in seinem Leben geändert, so wie sein Verlag verkauft. Später erzählt er darüber, an einem Freund, der (genau wie er) Übersetzer ist, sich also immer mit Wörtern beschäftigt. In diesem Gespräch geht es vor allem über die Frage: “was ist wichtig?” Mit dieser Frage wollen wir uns heute allererst beschäftigen.
Diese Frage, “was ist wichtig”, stellt sich für den Hauptperson des Buches, nachdem er gehört hat das er krank ist, und er wirklich nicht weiss wie es dann in seinem Leben weitergehen kann. Aber, während er sich unaufhörlich diese Frage stellt, merkt er auch, dass seine Arbeit, die Übersetzung womit er eben beschäftigt ist, so wichtig für ihn bleibt, dass es als Antwort fast genügt.
Ein langes Zitat möchte dieses verdeutlichen:
“Was sollte ich mit der Zeit, die mir noch blieb, anfangen? Was war jetzt noch wichtig? Und was konnte das in meiner Lage überhaupt heißen: wichtig? Als ich dann mit der Übersetzung fortfuhr, geschah etwas Merkwürdiges: Die ganz verzweifelte Unsicherheit, die in diesen Fragen gelegen hatte, wich zurück, mit jedem übersetzten Satz mehr, und übrig blieb das ruhige und klare Gefühl, dass es auch jetzt, wo mein Leben bald zu Ende sein würde, darum ging, dasjenige zu tun, was ich am liebsten tat und was ich am besten konnte: die richtige Worte zu finden.”
Der Freund von ihm, mit wem er in Gespräch ist, – eine überaus interessante Person, halb Russisch, halb Baskisch, ebenfalls Übersetzer, – antwortet ihm dann:
“Ich erlebe in letzter Zeit öfter etwas, was dem verwandt ist, auch wenn es zunächst etwas ganz anderes zu sein scheint. (…). Ich sehe in den Nachrichten all das Elend. Bilder von Armut, Dürre, Flucht und Vertreibung. Menschen die Wasser bräuchten, und nicht Worte. Zehntausende, Hunderttausende. Ich gehe zum Schreibtisch, und frage mich: Macht ihr Elend das, was ich hier tue, kleiner? Vielleicht sogar bedeutungslos? Kann man in Ernst darüber nachdenken, ob man ein Komma oder ein Semikolon setzen soll, wenn andere nicht wissen, wo sie schlafen können, ohne zu erfrieren? Und dann denke ich über das Komma nach.”
Ein Gespräch von zwei Menschen die mit Sprache beschäftigt sind, aber gleichzeitig auch mit den grössten Fragen des Lebens. Was ist wichtig, in meinem Leben, wenn so wenig Zeit übrig bleibt? Fragt der eine, der dann entdeckt, dass er am besten einfach weitermacht mit dem worin er gut ist. Der andere, der seine Augen nicht schliessen kann für die leidende Menschen unserer Welt, und sich fragt was die eigene Arbeit eigentlich vorstellt, wenn so wichtige Dinge geleistet werden müssen. Und dennoch an die eigene Arbeit bleibt.
In diesem Gespräch können wir etwas zurückfinden von den grossen Fragen des Lebens, vielleicht in eine -für uns – zu grosse Form: wie oft fühlen wir die Kürze des Lebens so heftig, dass diese zu einem Leitmotiv für unserem Leben wird? Wie oft werden wir vom Elend dieser Welt so direkt angesprochen, dass dieser zu einem Maßstab für unsere eigene Arbeit wird?
Aber dennoch verstehen wir diese Fragen, als die gerechte Fragen auch zu unserem eigenen Leben. Als die Frage: was ist darin wichtig? Und hoffentlich können wir auch die Antworten auf diese Fragen selber finden: in der Liebe zu dem was wir am besten können; in der Liebe zu teueren Menschen; in der Liebe zu unserer eigenste Arbeit, – beruflich oder nicht – wofür wir (um sozusagen) im Leben gemacht scheinen.
Es gibt natürlich grosse Unterschiede zwischen diesem Gespräch der beiden Übersetzer, über die Frage was letztendlich wichtig ist für sie, und die biblische Geschichte von heute. Über “Herrschen und Dienen”, wie es als Titel unserer Geschichte in unserer Bibel meistens mitgegeben ist. Aber es ist gut denkbar, dass beide Geschichten mehr mit einander zu tun haben, als wir geneigt sind um zu denken.
Oft wird diese Geschichte auch anders benannt: “über die wahre Grösse”.Über die Frage also was eigentlich die wahre Grösse eines Menschen ausmacht. Und es ist gut um sich von Zeit zu Zeit diese Frage mindestens zu realisieren, bevor wir all zu leicht, die biblische Antwort formulieren, – die wahre Grösse eines Menschen besteht im Dienen, – um dann gleich darauf weiter zu machen mit unserem üblichen Leben. Wir kennen die biblische Antworten manchmal zu gut, um uns zu realisieren was sie letztendlich für unser Leben bedeuten können. Und das ist auch mit dieser Geschichte der Fall, denke ich.
Fast am Ende seines Lebens, und nachdem er schon Jahre mit den Jüngern umgegangen ist, – sie haben die Zeichen gesehen, die Genesungen, die übrige Wunder; sie haben gehört was Jesus zu den Menschen sprach, um sie zu ermutigen, um sie zu überzeugen der Liebe Gottes, – dann kommen die beide Brüder Johannes und Jakobus (in einem anderen Evangelium), bei Matthäus aber ihre Mutter (um die Zumutung ein bisschen abzuschwächen), mit der Bitte ihnen die wichtigste Stellen in seinem Reich zu geben. Wir können noch lange darüber sprechen ob mit diesem Reich eine politische Entität gemeint ist, oder eine himmlische Sphäre, oder etwas dazwischen, aber das wichtigste ist hier, dass sie ‘wichtig’ sein wollen. Sie wollen die wichtigsten Stellen besetzen. Und genau das wird von Jesus abgelehnt: es geht, seiner Ansicht nach, nicht um die wichtigste Stellen, nicht um “Herrschen”, in seiner Terminologie, sondern um Dienstbarkeit. Um genau dasjenige so gut wie möglich zu tun, was auf unserem Weg kommt, gestellt wird; was genau wir, mit unseren Kapazitäten, mit unseren Möglichkeiten, an besten tun können.
Das ist nicht so weit entfernt von dem was die beide Übersetzer mit einander besprechen. Sie stellen sich die Frage “was ist wichtig?”. In unsere biblische Geschichte lernen die beide Jüngern dass sie nicht mehr fragen müssen, ob sie wichtig werden, sondern ob die Arbeit die sie tun können, – was sie für die Menschen und für Gott, tun können, – ob sie diese Arbeit wichtig machen. Ob sie mit all ihre Kräften, mit all ihre Sorgfalt, mit den ihnen möglichen Einsatz, ob sie damit die Arbeit wichtig machen, die unter ihre Hände fällt.
Warum arbeiten wir? Diese Frage wird in unserer Geschichte beantwortet mit dem Unterschied, – der auch uns geläufig ist,- ob wir durch diese Arbeit wichtig werden wollen, oder ob wir etwas für den Menschen tun wollen, das ihnen wichtig ist. Wodurch sie besser werden, selbständiger, schöner, gesunder, mehr im Stande sind das Leben zu geniessen. Ich glaube übrigens dass es der einzige Weg zu sinnvoller Arbeit ist, um genau zu wissen was Dienstbarkeit ist. Um nicht in der Fallgrube der Popularität zu verfallen, in welche Bereiche des Lebens auch.
In der Geschichte des Christentums gibt es viele beeindruckende Beispiele von Menschen, die durch ihre Arbeit, ihr Einsatz im Leben, für anderen wichtig geworden sind. Wie in der Nachfolge der Liebe Christi. Die meiste davon sind, übrigens, unbekannt geblieben. Heute möchte ich ein ausserordentliches Beispiel dieser Dienstbarkeit, dieser selbstopfernde Liebe, weiterreichen, das ich je gelesen habe. Es stammt aus einem Brief von Petrarca, des berühmten Schriftstellers aus der Renaissance. Er schreibt, ungefähr in 1352, einen Brief an seinem Bruder Gherardo, weil er auf unerwartete Weise über ihn gehört hat, als er zum Besuch bei dem Bischof von Padua war. Dieser Bruder war ein Mönch, ein strenger Karthäusermönch, in einem Kloster in der Nähe von Marseille. Als in dieser Gegend die Pest ausbrach, und viele Menschen, auch im Kloster, daran starben, bekam er vom Prior seines Ordens den Auftrag um zu fliehen. Was er einfach verweigerte. In den Worten seines Bruders: “ Der Ratschlag würde dir gefallen, wenn irgendwo ein dem Tod unzugänglicher Ort bestünde.”
Er bleibt also im Kloster, hört sein Bruder beim Bischof, wie er “ohne Furcht vor Ansteckung (s)einen sterbenden Brüdern Hilfe geleistet, ihre letzte Worte und Umarmungen entgegen genommen, ihre erkalteten Leiber gewaschen, oft an einem einzigen Tag ihrer drei und mehr in unermüdlicher Hingabe auf (s)einen Schultern hinausgetragen und mit eigenen Händen bestattet, da sonst niemand gewesen sei, der ein Grab geschaufelt oder bei den Sterbenden ausgeharrt hätte.”
Er bleibt als durch ein Wunder vor der Pest gespart, in der Kraft seines Geistes und seines Körpers. Später haben andere Kloster ihm einen neuen Prior und neuen Mönche gesandt, um das leerstehende Kloster zu erneuern.
Am Ende des Abends, als die Berichterstatter dieser Geschichte, Petrarca selber als den Bruder dessen erkannten über wen sie ihre Geschichte erzählten, – “sei’s auf göttliche Eingebung oder sei’s dank einer Ahnung ihres Geistes”, schreibt Petrarca, –
umarmten sie ihn, und sagten jubelnd: “Wie bist du glücklich in der frommen Unbeirrbarkeit Deines Bruders.” Selber ist er froh, kaum noch trockenes Auges, das alles seinem Bruder berichten zu können, auf wen er so stolz ist.
Ist dies alles nur eine alte Geschichte? Von einem Mann der in liebevollen Zuneigung zu seinen Klosterbrüdern ihnen die letzte Ehre gab?
Es geht vielleicht letztendlich vor allem um die Frage was auch für uns “eine fromme Unbeirrbarkeit” sein könnte.
Wir leben nicht mehr in der Zeit der Pest, obwohl wir wissen, das es andere Seuchen gibt; vielleicht nicht nur weit weg.
Wir wissen auch, dass die Pest, die ganze Geschichte hindurch, nicht nur eine schreckliche Krankheit war, aber auch immer Modell gestanden hat für die Schrecklichkeiten, die Menschen einander antun. Die genau so epidemisch sind, wie die Krankheiten selbst. Wie Menschen von einander angesteckt werden, in ihrem Hass, in ihrem Gewalt.
Dann genau kommt es darauf an, um unsere eigene Stelle im Leben zu wählen.
In eine gewisse “fromme Unbeirrbarkeit”: wissend wie wir einander in unserem Glauben einfach lieben können, ohne über einander zu herrschen.
Wissend was wichtig ist, in einer Welt, wo Liebe vielleicht der einzige Maßstab ist für was wirklich wichtig ist.
Um für einander da zu sein.
Amen.
Gebet:
Lieber Gott, wir bitten dich für die Opfer der Gewalt, und Haß,
für die Menschen die so leichtsinnig erschossen werden,
als ob ihr Leben fast ein Nichts ist;
als ob das Leben nur noch lebbar ist,
wenn wir in alles gleich sind, einer Farbe, einer Meinung;
befreie uns, Gott, von dem Zwang
anderen unsere Auffassungen aufzuzwingen,
damit wir die Unterschiede zwischen Menschen geniessen
und fruchtbar machen können in unsere Gesellschaft.
Wir bitten dich für die Menschen
die zu einsam geworden sind in ihrem Leben,
die keine Freundschaften erleben können,
kein fruchtbares Ziel im Leben entdecken,
nicht wissen was sie mit ihrer Liebe tun;
befreie uns, Gott, von der Unmöglichkeit
aus uns selber zu treten, nur noch sehen
was wir selbst denken und brauchen;
öffne uns für lebhafte Begegnungen,
für die Freude des Lebens.
Wir bitten dich, Gott, daß wir alle
so etwas wie ein Gespür entwicklen können
für was wirklich wichtig ist,
in unserem eigenen Leben,
im Leben von anderen Menschen;
das du uns dabei hilfst,
mit deinen Anweisungen zum Leben,
mit der Kraft deines Geistes,
damit wir deine Wege gehen können,
deine Spuren folgen.
“Onze Vader…”
Amen.