Gottesdienst 20 Juni 2021

Bibellesungen:

Psalm 84: 2 – 9.

I Petrusbrief 4: 7 – 11.

 

Gebet:

Lieber Gott,
auch wir kommen zu dir, mit unserem Gebet,
hier, in diesem Haus, als in deiner Wohnung;
unterwegs auch, wo wir auch sind, wo wir auch hingehen,
suchen wir dich,
um wieder so etwas wie die Kraft zum Leben zu finden,
um wieder zu wissen warum wir das tun,
was uns dazu inspiriert,
wofür wir da sind, auch für die Menschen
mit wem wir leben, die uns vertrauen,
die auf uns hoffen in schwierige Zeiten.
Wir brauchen es manchmal um in deinem Haus zu sein
um wieder bei Kräften zu kommen,
um wieder beruhigt zu werden im Leben,
um wieder die Worte gereicht zu bekommen
die unsere eigene Worte sind,
manchmal von früh an empfangen,
im Leben geläutert,
als fruchtbar erwiesen für uns selbst und für anderen.
Wir bitten dich
dass du uns die Kraft gibst
um unter Augen zu sehen weshalb wir leben,
um uns bewusst zu sein von den wichtigsten Worte
die uns im Leben tragen,
wie von dir empfangen:
dass wir sie fruchtbar benutzen können
im Leben mit einander,
in der Gemeinschaft worin wir leben,
in deinem Haus das uns empfängt.

Amen.

Predigt:

“ Wer redet, der rede mit den Worten, die Gott ihm gibt; wer dient, der diene aus der Kraft, die Gott verleiht.”

Dieser Text, aus den ersten Brief von Petrus, begleitet mich schon mein Leben lang als Pastor. Als ich in März 1973 eingeführt wurde als Pastor in der Gemeinde der Remonstranten in Rotterdam, als der jüngste in einem Team von sehr erfahren Kollegen, mit einem Auftrag für die Jugendlichen in der Gemeinde, habe ich diesen Text von Petrus gewählt für meine Predigt damals. In meiner Unschuld dachte ich, dass es ein schöner Leitspruch sein könnte für meine Arbeit, für mein Leben als Pastor, für meine Intentionen mindestens um damals damit anzufangen. Man weiss manchmal nicht was man sagt, und vielleicht auch dann nicht wenn es um die wichtigste Dingen des Lebens geht.

Das habe ich dann auch schon früh erfahren. Es war damals noch üblich dass der Vorsitzende der Commissie tot de Zaken (=Vorstand der Remonstranten) anwesend war (und sprach) bei der erste Einführung eines Pastors und bei dem letzten Abschied. Dieser Vorsitzende war damals ein bekannter Wirtschaftswissenschaftler, erfahren in der Landespolitik. Er wusste schon vorher was der Text meiner Predigt war, und in seiner Ansprache sagte er klipp und klar, dass dieser Text unmöglich war: wir wissen doch nicht was die Worte Gottes sind, wir können nicht einfach darüber verfügen, auch nicht wenn Gott uns die Kraft dazu verleiht, und er wünschte mir übrigens alles gute bei meinen unmöglichen Absichten. Es war natürlich gut gemeint, und er musste zugeben, später, nach dem Gottesdienst, dass meine kurze Predigt ihn einigermassen beruhigt hatte.

Was ich damals gesagt habe, weiss ich nicht mehr, und ich habe es auch nicht aufgesucht. Es war mir einfach ein Bedürfnis um nochmals über diesen Text zu predigen, im (für mich!) letzten normalen Gottesdienst hier in Friedrichstadt. In der Zwischenzeit habe ich oft an diesen Text gedacht. Was sagt man? Welche Worte stehen zur Verfügung? Haben wir überhaupt Worte von Gott bekommen, die wir einfach benutzen können? Und wo nicht: wie steht es mit dem Verhältnis von unseren eigenen Worten und die Worte die wir als Worte Gottes ansehen können?

Diese Fragen über die Worte Gottes sind nicht nur Fragen worüber Pastoren sich kümmern können, sondern Fragen die uns alle betreffen. Was sind die wichtigste Dinge die wir sagen können? In wieweit spielt unser Glaube (wie angefochten auch) eine Rolle in dem was wir sagen? Haben wir je erfahren dass Gott uns Worte reicht die wir nie aus uns selber bedacht hatten, und die eine bestimmte (manchmal beladene) Situation retten können? Die das Leben eines anderen Menschen retten können? Oder mindestens so weiterführen, dass so etwas wie eine neue Perspektive entsteht?

Ich bin immer einer gewesen, für wen Worte wichtig waren. Für wen es wichtig war was Menschen zu mir sagen, was ich selber sagen könnte. Dieser Sinn für Worte wurde natürlich verstärkt, erst durch das viele Lesen das ich von früh an getan habe, und später durch meine Studie der Theologie. So war es nicht ein Wunder, dass ich mir schon damals die Frage stellte, wie man sich das Verhältnis denken könnte zwischen den Worten von Menschen, und den Worten von Gott. Können wir hören dass Gott zu uns spricht? Können wir selber Worte sprechen, die gelten können als Worte van Gott? Gibt es irgendwelche Verbindungen zwischen diesen Worte?

Von Haus aus war ich vertraut mit der Welt des Glaubens, mit dem Abendgebet vor dem Schlafen-gehen, mit dem täglichen Lesen der Bibel (im Hause meiner Grosseltern), mit ihrer vorbildliche Frömmigkeit, mit dem Gang zur Kirche, wie unregelmässig auch. Das alles stellte mir vor Fragen, die mir nicht mehr losgelassen haben. Aber das alles war keine eindeutige Orthodoxie, er gab keiner der meinte die Weisheit (oder die Wahrheit) gepachtet zu haben. So war auch das Wort Gottes nie so eindeutig, dass es fest umschrieben stand; nirgendwo wurde es ganz identifiziert mit den Aussprachen der Bibel, mit der Bibel als ein ganzes, oder mit bestimmte Personen die als eine Autorität galten, die sowieso im Namen Gottes sprachen. Nie stand die Wahrheit für immer fest, und der Glaube war ein Geschenk, dessen Wert man selber im Leben suchen musste.

Dennoch muss es so etwas geben wie das Wort Gottes; muss es so etwas geben wie Worte von Menschen, worin so etwas hörbar ist wie die Stimme Gottes. Nicht als etwas das wir buchstäblich hören können, sondern als etwas das wir nicht anders als von Gott kommend verstehen können. Als etwas also das eine Tiefe oder eine Höhe besitzt die weit hinausgeht über all dasjenige das Menschen selber bedenken können.

Wir können (denke ich) nie von uns selber sagen dass wir ‘im Namen Gottes’ sprechen, oder mit Worten die Gott uns gibt, aber dennoch kann es passieren, dass in den Worten von Menschen so etwas auflichtet wie eine Wahrheit Gottes. Oder lieber, eine Weisung Gottes, die die Situationen von Menschen rettet, oder fruchtbar weiter führt. Als ein Trost den wir spenden können, worin dennoch so etwas wie eine Nähe Gottes spürbar ist. Als eine Bemerkung von Menschen worin eine Perspektive Gottes sichtbar wird für unsere Welt. Manchmal hinterher, aber nichtsdestoweniger später festgehalten als eine Deutung die das Handeln von Menschen übersteigt.

Aus der Bibel selber möchte ich zwei kurze Beispiele anführen, die – vielsagend genug – nicht von vorbildliche Anhänger Jesu stammen, sondern von Gegnern in seiner Sache. Beide Beispielen stammen aus dem Evangelium nach Johannes.

Das Erste stammt aus der Geschichte der Auferweckung des Lazarus: nach diesem Wunder kamen viele zum Glauben, wird erzählt, aber es kam auch zu einer Aussprache im Hohen Rat, wo viele die Situation um Jesus her zu gefährlich fanden. Dann sagt der Hohepriester Kajafas, erzählt Johannes, “dass es besser ist für euch, wenn ein einziger Menschen für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.”  Johannes schreibt dann: “Das sagte er nicht aus sich selbst, sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er es aus prophetischer Eingebung.”

Auch Menschen die nicht so glauben wie wir können im Namen Gottes sprechen, – wenn sie, wie auch wir, wahres sprechen dass “nicht aus uns selber ist”, – so wie hier als aus einer prophetische Eingebung. Das wird hier auf unerwartete Weise in dem Munde eines Gegners Jesu gelegt: ein deutliches Zeichen dessen wie wenig wir unsere eigene Worte identifizieren können mit den Worten Gottes. Wie sehr wir auch die Möglichkeit haben um Worte Gottes zu sprechen!

Eine vergleichbare Situation finden wir später im gleichen Evangelium, wenn Jesus vor Pilatus steht. Pilatus fragt: “Bist du der König der Juden?” und Jesus, anstatt ihn zu antworten, ihm fragt: “ Sagst du das von dir aus, oder haben es dir anderen über mich gesagt?”

Vielleicht haben anderen Pilatus die Frage eingeflüstert, es kann aber auch sein, dass Pilatus selber etwas in Jesus gesehen oder gefühlt hat, dass seine Menschlichkeit (oder seine Unmenschlichkeit) überstieg. Auf jeden Fall ist die Frage Jesu (“Sagst du das von dir aus?”) eine der grundlegende Fragen über eigentlich alles was wir sagen können. Sagen wir von uns aus was wir sagen? Können wir in dem was wir sagen, und in dem was anderen sagen, auch noch etwas hören von dem was Gott zu uns, oder in uns, sagt?

Vielleicht kommt auch hier alles an auf  “ein zartes Gefühl für den geheimnisvolles Geist des Lebens”, wie Novalis das genannt hat. Einer der Hauptpersonen aus seinem Roman “Heinrich von Ofterdingen” benutzt dieses Wort, wenn er über die Dichter spricht, und sagt, dass “ in ihren Märchen mehr Wahrheit ist, als in gelehrten Chroniken”. In diesem “Mehr”, ein ‘mehr an Wahrheit’, ein ‘mehr an Verständnis’, das als eine Möglichkeit in uns Menschen liegt, können wir so etwas sehen wie die Anwesenheit Gottes in dem was wir sagen, und in dem was wir tun. Aber dieses ‘Mehr’ muss auch von uns selber entschlossen werden, oder durch anderen geöffnet werden. Aber irgendwie sind auch wir selbst verantwortlich dafür dass es entschlossen oder geöffnet werden kann. Dass es so etwas gibt wie “ein zartes Gefühl für den geheimnisvollen Geist des Lebens”, wie Novalis sagt. Vielleicht ist unser Glaube so etwas wie das Wissen um dieses ‘Mehr’, das wir uns von Zeit zu Zeit bewusst sind: ein ‘Mehr’ in uns unserem Sprechen, ein ‘Mehr’ in unserem Handeln, ein ‘Mehr’ das uns irgendwie geschenkt wird. Vielleicht dass das alte Wort “Gnade” das passende Wort ist, um diese Wirklichkeit Gottes in uns angemessen zu sagen.

Einer der schönste Filme die ich je gesehen habe, ist der Französische Film “ Tous les matins du monde” (“Alle morgen der Welt”), nach einem Buch von Pascal Quignard. In diesem Film wird etwas vergleichbares gesagt von dem was ich heute versuchte zu sagen. Der Film geht über zwei berühmte Musiker aus dem 17sten Jahrhundert: über den  Viola da Gamba-Spieler Monsieur de Saint Colombe, und sein Lehrling Marin Marais, der viel berühmter werden sollte, weil er am Hofe von König Ludwig XIV spielte. Der Meister de Saint Colombe hat immer zurückgezogen gelebt, und hat die wunderschönste Musik geschrieben die ich kenne, der Lehrling Marais hat vollauf von dem Leben genossen, zum Entsetzens seines Meisters, hat aber immer seinen Meister in Ehren gehalten, und auf seine Musik gelauscht. Wenn der diese Musik spielte in seiner Baumhütte. Wenn am Ende seines Lebens Monsieur de Saint Colombe seinen früheren Lehrling entdeckt vor der Hütte, und ihn einlädt hereinzukommen, haben sie noch ein letztes Gespräch.

Marais fragt: “ ‘Monsieur, darf ich sie bitten um eine letzte Lektion?’

‘Monsieur, darf ich eine erste Lektion versuchen?’ Antwortete monsieur De Saint Colombe mit matter Stimme.

Monsieur Marais neigte den Kopf. Monsieur de Saint Colombe räusperte sich und sagte, dass er sprechen wollte. Er sprach stockend.

‘Es ist schwierig, monsieur. Die Musik existiert nur um zu sprechen über Sachen worüber Worte nicht sprechen können. In diesem Sinne ist sie nicht ganz menschlich. Sie haben also entdeckt, dass Musik nicht für den König ist?’

‘Ich habe entdeckt dass sie für Gott ist.’

‘Darin haben Sie sich getäuscht, denn Gott spricht.’

‘Für das Ohr?’

‘Worüber ich nicht sprechen kann, ist nicht für das Ohr.’ ”

Das Gespräch geht noch weiter, er werden noch schöne Dinge gesagt, aber vielleicht ist das wichtigste schon gesagt. Und am Ende spielen sie zusammen, bis die Nacht vorbei ist, und monsieur Marais beim Tagesanbruch nach Versailles zurückkehrt.

Vielleicht spricht Gott auch in der Musik.

Vielleicht spricht er auch zu uns in soviel Dinge die wir erfahren können in unserem Leben.

Vielleicht auch in vielen Menschen die wir begegnen.

Vielleicht spricht er auch in den Worten die wir selber sagen, und in dem was wir selber tun.

Als eine Art Gnade, die wir im Leben erfahren.

Amen.

 

 

Gebet:

Lieber Gott,

wir bitten dich, dass du so zu uns sprichst

dass wir hören können was du sagst,

dass du die Hindernisse in uns wegnimmst

die uns den Durchgang versperren zu dem

was wir als Weisung von dir verstehen können,

als Worte für uns bestimmt,

als eine Aussicht auf unsere Bestimmung,

als unser richtige Platz zwischen den Menschen.

Wir suchen deine Worte manchmal,

und gehen manchmal so achtlos daran vorüber,

wir sind manchmal so vergesslich

in den wichtigsten Sachen unseres Lebens,

wir gehen manchmal so ohne Verständnis an einander vorüber,

und wissen manchmal nicht mehr was wir einander wirklich sagen können.

Sei dann bei uns, in unseren Worten, in unseren Taten,

damit wir alle werden können wie wir gemeint sind.

Wir bitten dich,

dass du uns behütest in dem was wir sagen, in dem was wir tun,

gib dass wir etwas öfter wissen vom Geheimnis

dass du für uns bist,

dass wir es in unserem Leben mit einander

behüten und schützen, in Respekt für einander,

wissend um ihre Not, hoffend auf ihre Freude,

einander das beste schenkend das uns gegeben ist.

Sei bei uns, Gott, mit deinen Worte, mit deinem Geist,

damit wir eine Gemeinde sind

die etwas wichtiges repräsentiert von dir,

in dieser Stadt, in dieser Welt,

damit wir deine Menschen sind,

von dir geliebt.

“Onze Vader…”

Amen